Das Ruhr Ding: Territorien

Die Stationen des neuen Ausstellungsformats „Das Ruhr Ding: Territorien“ von „Urbane Künste Ruhr“ befinden sich gleich in vier Städten: in Essen, Oberhausen, Bochum und Dortmund. An Hauswänden, in einem ehemaligen Möbelgeschäft, an einem renaturierten Fluss, in einer Trauerhalle, einem Industriedenkmal oder schlicht auf einem asphaltierten Platz wird Kunst nicht nur erfahrbar, sondern lädt die Besucher oft auch zum Mitmachen ein. Im besten Falle erleben die Besucher so hautnah, was das Ruhrgebiet früher und heute ausmacht: das »Ruhr Ding« eben. Ich habe für PortalKunstgeschichte unterschiedliche Stationen besucht:

Den gesamten Artikel bei portalkunstgeschichte.de lesen

Das Foto oben zeigt einen Gang durch den Ruhrtunnel in Essen, auch eine Station der Ausstellung „Das Ruhr Ding: Territorien“. Mehr Fotos und Videos gibt es bei Instagram

Wild wild Grammar

Das European Media Art Festival (emaf) in Osnabrück ist mittlerweile eines der wichtigsten Medienkunstfestivals in Deutschland. Es eröffnet einmal im Jahr einen kritischen Blick auf die aktuelle gesellschaftliche Lage.

War das emaf zu Beginn Anfang der 1980er Jahre noch ein Experimentalfilm-Festival, bietet es mittlerweile außerdem Performances, Talks, dem Media-Campus INIT für NachwuchskünsterInnen sowie einer regelmäßigen Ausstellung in der Kunsthalle Osnabrück eine Plattform. Hier ein paar Eindrücke aus der Ausstellung »Wild wild Grammar«, die sich mit der Kommunikation in einer global vernetzten Welt auseinandersetzt:

Den gesamten Text bei portalkunstgeschichte.de lesen

Computer Grrrls

Schon der Name der Ausstellung erinnert an die feministische Subkultur-Bewegung „Riot Grrrl“, die in den 1990er-Jahren in den USA entstanden ist. Das kommt sicherlich nicht von ungefähr. Denn auch die Ausstellung im Dortmunder U präsentiert ausschließlich Arbeiten von Künstlerinnen, die ihren Blick auf eine eher männlich dominierte Tech-Szene formulieren. Die Ausstellung ist über weite Strecken sehr humorvoll und gibt ganz unterschiedlichen Positionen Raum.

Die Besprechung ist bei portalkunstgeschichte.de abrufbar

10. Berlin Biennale

Die 10. Berlin Biennale for Contemporary Art ist die Jubiläumsausgabe der erfolgreichen Kunstausstellung. Das Kuratorenteam rund um die Südamerikanerin Gabi Ngcobo wagt eine bisher eher ungewöhnliche Perspektive auf die Welt. An fünf Ausstellungsorten in ganz Berlin werden Helden vom Sockel gestoßen und die westlichen Werte einer besonders kritischen Betrachtung unterzogen. Das ist heilsam, denn es gelingt den Künstlern, wichtige Bedingungen für das friedliche Zusammenleben in einer globalisierten Welt anzusprechen.

Der ganze Text ist bei portalkunstgeschichte.de abrufbar

Ocupante

Die Multimedia-Künstlerin Grimanesa Amorós lebt in New York und arbeitet auf der ganzen Welt. Meist lässt lässt sie in ihren Arbeiten wie bei „Ocupante“ Geschichte und Aktualität verschmelzen. Im Allgemeinen beschäftigt sich die gebürtige Peruanerin auch mit der konkreten Situation am Ausstellungsort und lässt sich durch die gewonnenen Eindrücke für ihre Kunst inspirieren.

In Koblenz möchte Grimanesa Amorós vor allen Dingen auf die schwierige Situation von Flüchtlingen hinweisen. Mit einer Lichtinstallation, zwei Videos und einem geheimen Zimmer inszeniert sie ihre Sicht auf die aktuelle gesellschaftliche Situation.

Der ganze Text zur Ausstellung: portalkunstgeschichte.de 

Foto: Copyright Helmut Baier

The Future of Visions

Jedes Jahr zeigt das European Media Art Festival (emaf) aktuelle Positionen der Medienkunst. 2016 ging es in der Ausstellung „The Future of Visions: Don’t Expect Anything!“ um Zukunftsvisionen. In der Kunsthalle Osnabrück waren riesige Film-Leinwände installiert, auf denen Animationsfilme oder das Porträt eines Astronauten, der nie ins All fliegen konnte, zu sehen waren. Keine rosarote Brille, sondern ein durchaus kritischer Blick in die Zukunft.

Die ausführliche Besprechung: portalkunstgeschichte.de

Foto: Larissa Sansour & Søren Lind: In The Future They Ate From The Finest Porcelain, Filmstill. ©Larissa Sansour & Søren Lind

Wunder

August Pullman sieht anders aus, als andere Kinder. Durch einen Gendefekt ist sein Gesicht von Geburt an deformiert. Durch mehrere Operationen konnten die Ärzte immerhin erreichen, dass er sein Essen kauen und auch hinunter schlucken kann. Damit kann August, genannt Auggie, am ‘normalen’ Leben teilnehmen und wie jedes andere Kind zur Schule gehen – auch wenn sein Gesicht nach wie vor ein auffallendes Aussehen hat.

Rachel J. Palacio beschreibt in ihrem Buch Wunder den Moment, an dem Auggie sein bisher geschütztes Umfeld verlässt und eingeschult wird. Das ist nicht nur für August, sondern auch für seine Eltern ein Angst einflößender Moment. Denn obwohl seine Eltern bisher alles getan haben, um ihn zu schützen, weiß August sehr genau um sein besonderes Aussehen. Bereits seit Monaten trägt er ständig einen Austronautenhelm, der sein Gesicht vollständig verbirgt – sogar im Hochsommer. In der Grundschule muss er nun nicht nur auf den Schutz des Helmes verzichten, sondern sich auch noch den Reaktionen der vielen, bisher unbekannten, Kinder stellen.

Natürlich verläuft nicht alles reibungslos, obwohl sich Schulleiter und Lehrer alle Mühe geben, August zu unterstützen. Rachel J. Palacio beschreibt in ihrem mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnetem Buch ausführlich und detailreich, wie und an welchen Stellen Ausgrenzung funktioniert. Dabei wechselt die Erzählperspektive im Buch zwischen August, seiner Schwester und deren Freunden. Klar wird dadurch, welche Motivation andere für ihr manchmal missverständliches oder verletzendes Verhalten haben. Außerdem wird der Moment deutlich gekennzeichnet, an dem ihnen die Ausgrenzungsversuche mancher Mitschüler als falsch erscheinen und sie beginnen, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Dass das Buch am Ende mit einem klassischen und auch reichlich kitschigen Happy-End aufwartet, stört dabei letztlich nicht.

Rachel J. Palacio beschreibt hier nichts Geringeres als den zeitweise recht steinigen Weg der Inklusion. Dabei liefert sie im Grunde genommen eine ganz grundsätzliche Analyse der Umstände, die Ausgrenzung, Diskriminierung und sogar Extremismus entstehen lassen können. Das gelingt ihr sogar in einer Sprache, die schon Jugendliche verstehen können. Auch für Erwachsene ist der Wechsel in die Perspektive der Kinder und Jugendlichen sicherlich hilfreich, zumal sich hier viele Strukturen erkennen lassen, die auch in der Welt der Erwachsenen zu Problemen führen. Dabei lässt sich andeutungsweise erkennen – Augusts Schule ist nach einem Mann benannt, der sich für Frauenrechte und gegen die Sklaverei eingesetzt hat – dass es in diesem Buch um die notwendige Toleranz allen Menschen gegenüber geht. Da scheint es auch nur folgerichtig, dass Wunder kürzlich auch als Film in die Kinos gekommen ist.

Julia Roberts, Jacob Tremblay, Mandy Patinkin und Owen Wilson spielen hier die Hauptrollen. Der Film Wunder ist eine wirklich gelungene Ergänzung zum Buch, ersetzt die Lektüre aber keinesfalls. Gerade im Film wirken Julia Roberts und Owen Wilson in der Rolle der Eltern zwar sehr bodenständig und fürsorglich, sind dabei manchmal aber ein bisschen zu perfekt geraten. Das Buch hält mehr Wendungen und Schattierungen der Geschichte bereit. Dennoch ist Wunder ein gelungener Film für die ganze Familie, mit dem sicherlich auch Kinder im Grundschulalter schon etwas anfangen können. Wie gesagt: Vergnügen garantiert durch Happy-End und einen Triumph des ‘Guten’ über das ‘Schlechte’. Kein Wunder also, dass der Film laut Wikipedia bereits zum Filmstart die Kinocharts anführt.

Drogen sollten legal werden

“Dass Schreiben Politik ist, schon im Akt des Niederschreibens und erst recht im öffentlichen Vortrag: Das ist immer wieder spürbar, gerade beim internationalen literaturfestival berlin“, schreibt Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele und damit Gastgeber des internationalen literaturfestivals berlin, in seinem Grußwort. Die Reihe Reflections sollte dem Politischen konkret Raum geben und Themen eine Plattform bieten, die möglicherweise auch weh tun. In diesem Rahmen haben die Mexikanerin Sabina Berman und die Kolumbianerin Laura Restrepo über die Situation in Lateinamerika berichtet. Sie kommen zu dem Ergebnis: Um die großen Probleme in Latein- und Süd-Amerika zu lösen, sollten Verkauf und Konsum von Drogen legal werden.

Man gehe davon aus, dass rund 100 Millionen Menschen in den USA und fast 35 Millionen Menschen in Europa Marihuana oder Kokain konsumierten, erklärt Sabina Berman. Die Drogen seien Teil des Lebensstils geworden. Dabei sei der Konsum im Allgemeinen straffrei, nur der Handel werde polizeilich und juristisch verfolgt. Das sei Heuchelei. Da beispielsweise ein in Kolumbien produziertes Gramm in den USA und Europa für das zehn- oder zwanzigfache weiter verkauft werden könne, gebe es einen regen Transit der Drogen von Süd- nach Nordamerika. Damit verbunden sei ein blutiger Drogenkrieg.

Vor sechs Jahren sei in Mexiko rund 33% des Landes in der Hand der Drogenkartelle und damit unregierbar gewesen. Um diesen Zustand zu ändern, habe der Präsident vor sechs Jahren einen strategisch ungeschickten Krieg gegen die Kartelle angefangen. Das Ergebnis sei, dass diesem Konflikt bis zum heutigen Tag rund 120.000 Menschen zum Opfer gefallen seien – also insgesamt mehr Tote als es im Vietnamkrieg gegeben hat. Heute seien rund 66% des Landes unregierbar. Vor allen Dingen problematisch sei, dass die Kartelle kopflos zerschlagen worden seien. Die davor in den Kartellen organisierten Menschen seien danach in wirre Banden ohne Führung zerfallen, darunter auch Kinder und Jugendliche.

Die Drogenkartelle hätten nun auch den letzten Rest Respekt vor der Regierung, ihrem früheren Partner, verloren. Sie seien jetzt sehr gut bewaffnet, meist besser als die Polizei, und diktierten den Politikern, was zu tun sei. Die USA handelten mit den Waffen, mit denen die Kartelle die Massaker verübten. Man verdanke den USA die Demokratie, aber dort sei man auch verantwortlich für den ungemein blutigen Krieg in Mexiko. Der Krieg müsse sofort beendet und die Sicherheit des Volkes zum obersten Ziel der Maßnahmen gegen die Drogenkartelle werden, nicht nur die Zerschlagung der Machtstrukturen. Sabina Berman wünscht sich einen niedrigschwelligen Krieg, von dem die Bevölkerung fast nichts bemerkt. Jugendlichen solle der Konsum von Marihuana erlaubt werden und Morde müssten von der Polizei verfolgt und geahndet werden.

Auch für Laura Restrepo ist die Legalisierung der Drogen die einzige Option. In Europa halte man Drogenhändler für eine Art Feudalherren und unterschätze die Gefahr. Krieg und Drogen seien zwei Seiten derselben Medaille. Das Problem reiche insgesamt von den Drogenfeldern in Kolumbien bis zu den Banken in den Industrienationen. Da die Drogenbosse teilweise besser bewaffnet seien als die Polizei, seien die staatlichen Institutionen unterhöhlt und es stelle sich die Frage, ob Zivilisation überhaupt unter diesen Bedingungen überhaupt noch möglich sei. Fälschlicherweise werde das Problem immer auf ‘die Droge’ reduziert. Tatsächlich seien die Schwierigkeiten sehr komplex. Es gebe einen ungezähmten Kapitalismus auf allen Ebenen, der die Konkurrenz einfache ausschalte. Er zeige sich in Form des eifersüchtigen Ehemanns, der seine Frau töte oder in der des Geschäftsmanns, der seinen Konkurrenten einfach ausschalte. Dahinter stehe ein ganzes System. In Kolumbien seien drei Mal progressive Präsidentschaftskandidaten umgebracht worden. Alonso Salazar habe eine Biografie über den bekanntesten Mörder Kolumbiens, Pablo Escobar, geschrieben. Pablo Escobar habe 1,5 Millionen Dollar am Tag eingenommen. Es seien enorme Kapitalströme, die der Drogenhandel fließen ließe.

Im Alltag sei es schwer geworden, sich aus dem Drogenhandel ganz heraus zu halten. Als Beispiel führt Laura Restrepo einen kleinen Ort in der Karibik an. Dort gebe es keine Hotels, nur ein paar Ferienwohnungen. Die Menschen dort hätten in erster Linie vom Fischfang gelebt. Doch der Fischbestand habe zu schwinden begonnen und die Fischer hätten angefangen, Kokapäckchen einzusammeln, die von Hubschraubern abgeworfen worden seien, um sie von dort aus weiter nach Norden transportieren zu lassen. Eines Tages habe sich das Gerücht verbreitet, dass ein junger Mann getötet worden sei. Er habe AIDS gehabt und die Dealer töteten jeden, der an AIDS erkrankt sei. Das habe bei den Menschen dort Angst ausgelöst. In einigen Dörfern seien mittlerweile Massengräber mit Opfern der Dealer entdeckt worden. Die Grenzstadt Ciudad Juarez sei im Moment der womöglich gefährlichste Ort der Welt.

Sabina Berman berichtet, dass sie und das ganze Team bei den Dreharbeiten zu Paradies der Mörder in Ciudad Juarez bedroht worden seien. Für die Dauer der Dreharbeiten seien sie in einem Hotel untergebracht gewesen. Jeder von ihnen habe manchmal am Abend weiße Blumen und Bilder von Geköpften in seinem Zimmer vorgefunden. Niemand habe sagen können, wie diese Gegenstände in die Zimmer gekommen gekommen seien, während 30 bewaffnete Männer eigentlich für ihre Sicherheit zuständig gewesen seien. Zeitgleich seien drei Polizeikommandanten umgebracht worden.

Sabina Berman und Laura Restrepo hoffen, dass die Droge zu einem ganz normalen Agrarprodukt wie Kaffee oder Bananen werden könne. Wenn sie legal sei, werde der Preis automatisch sinken. Sicherlich müsse mit der Legalisierung ein Erziehungsprogramm auf den Weg gebracht werden, der über den Umgang mit den Substanzen aufkläre. In Bezug auf den Tabakkonsum habe solch ein Modell ganz gut funktioniert. Außerdem könne dann auch eine Steuer auf die Drogen erhoben werden, mit denen sich die Behandlung der gesundheitlichen Schäden finanzieren ließe. Auch konservative Intellektuelle wie Mario Vargas Llosa setzten sich mittlerweile für die Entkriminalisierung der Drogen ein. Doch es gebe mächtige Mafiaorganisationen, die sich dem entgegen stellten und weiter an Drogenhandel, Kinderprostitution, Waffen- und Organhandel verdienen wollten.

Bücher und Filme:

Laura Restrepo: Die Insel der Verlorenenir.gif

Regie: Carlos Carrera, Drehbuch: Sabina Berman: Paradies der Mörderir.gif

Sabina Berman: Die Frau, die ins Innerste der Welt tauchteir.gif

Alonso Salazar:  Pablo Escobar, el patron del mal

Die große Zukunft des Buches

In “Die große Zukunft des Buches” entwickeln Jean-Philippe Tonnac, Essayist und Journalist und Umberto Eco, Professor für Semiotik, Schriftsteller und Mittelalterexperte, sowie der Drehbuchautor und Schriftsteller Jean-Claude Carrière eine Perspektive für die Zukunft der Medienlandschaft. Generell sehen sie das Ältere nicht durch Veränderungen bedroht:

Das Ebook wird das Buch nicht töten. Ebenso wenig wie Gutenberg und seine geniale Erfindung von heute auf morgen den Gebrauch von Kodizes unterbunden hat oder den Handel mit Paryrusrollen und volumina. Die jeweiligen Praktiken und Gewohnheiten bestehen nebeneinander weiter, und nichts lieben wir mehr, als das Spektrum unserer Möglichkeiten zu erweitern. Hat der Film die Gemälde getötet? Das Fernsehen den Film? Willkommen seien daher Rechner und periphere Lesegeräte, die uns über einen einzigen Bildschirm Zugang zur mittlerweile digitalisierten Universalbibliothek gewähren

Sie stellen zum Beispiel fest, dass das Internet seine Nutzer in die Zeit des Alphabets zurück versetzt. Manche hätten früher fälschlicherweise angenommen, dass Film und Fernsehen das Lesen nahezu überflüssig machen würden. Doch das Gegenteil sei der Fall. Womöglich könnte es durch den Computer sogar eine Rückkehr zur oralen Tradition geben, ein bisschen wie zur Zeit Homers:

Wir würden eine Rückkehr zur Oralität erleben, wenn der Computer das, was wir sagen, direkt verarbeiten könnte

Als ein weiteres wichtiges Thema sehen sie die enormen Schwierigkeiten, dauerhafte Speichermöglichkeiten für unser kulturelles Gedächtnis zu finden. Alle Kulturen zu allen Zeiten hätten sich mit diesem Problem konfrontiert gesehen. Jean-Claude Carrière glaubt, dass auch heute nicht überall ein Interesse daran besteht, das Alte dauerhaft zu erhalten. Filme beispielsweise sollten immer wieder neu produziert werden:

Seit den zwanziger, dreißiger Jahren ist der Film in Europa zur >Siebten Kunst< avanciert. Seit damals hält man es jedenfalls für der Mühe wert, Kunstwerke zu bewahren, die nunmehr ein Teil der Kunstgeschichte sind. Aus diesem Grund entstanden die ersten Filmarchive, zunächst in Russland, dann in Frankreich. Aber aus amerikanischer Sicht ist der Film keine Kunst, noch heute gilt er dort als erneuerbares Produkt. Zorro, Nosferatu, Tarzan müssen immer wieder neu gemacht werden, die alten Vorbilder, die alten Bestände also weggeworfen werden. Das Alte, insbesondere wenn es von hoher Qualität ist, könnte dem neuen Produkt ja Konkurrenz machen

Durch all die Möglichkeiten, die den Menschen zur Verfügung ständen, lebten wir in einer Zeit ständiger Veränderung. Uns werde ständige Mobilität und permanentes Lernen aufgezwungen. Alle Gesprächsteilnehmer sind sich einig, dass es eine ganz zuverlässige Vorhersage für die Zukunft niemals geben kann. Die Geschichte sei voll solcher Irrtümer. Aber es gelingt den Gesprächsteilnehmern, die aktuellen Probleme mit vielen Anekdoten und sehr kenntnisreich in Zusammenhang zu den großen Fragen der Menschheit zu setzen und das Neue der Gegenwart als etwas zu enttarnen, das es in mehr oder weniger veränderter Weise immer schon gegeben hat.

Syrische Videofilmer

Videokunst ist seit der Gründung des European Media Art Festival (emaf) vor 25 Jahren zentraler Schwerpunkt des Festivals. Anlässlich des Jubiläums haben in diesem Jahr namhafte Experten allgemeine Veränderungen in der Mediennutzung, deren Auswirkungen auf künstlerisches Arbeiten und die Bedeutung von Netzwerken diskutiert.

Charlotte Bank hat die Besonderheiten erörtert, mit denen syrische Filmemacher seit Beginn der Unruhen in Syrien zu kämpfen haben. Es sei generell schwierig geworden, sich ein objektives Bild von den Geschehnissen in Syrien zu machen, da das Regime seit Ausbruch der Proteste keine ausländischen Journalisten mehr in das Land lasse. YouTube habe sich als Informations-Plattform etabliert, da es häufig keinen anderen Weg gebe, sich der Öffentlichkeit mitzuteilen oder an Informationen über die Situation im eigenen Land zu kommen. Es gebe viele Online-Video-Aktivisten, die die Ereignisse in ihrer Nähe dokumentierten und im Internet veröffentlichten. Viele von ihnen seien keine professionellen Journalisten, Filmemacher, Künstler oder Intellektuelle.

Überhaupt seien syrische Intellektuelle nicht die treibende Kraft der Protestbewegung gewesen. Auch vor Beginn der Unruhen sei eine oppositionelle Haltung zum Regime nicht gut aufgenommen worden. Syrische Künstler seien durch die Zensur gezwungen worden, eine komplexe Sprache aus Metaphern und Symbolen zu entwickeln. Manchmal könne man den Eindruck bekommen, dass Zensur fast ein Geschenk sein könne, da ohne diesen Druck die Ausdrucksformen nicht so vielfältig geworden wären.

Im April 2011 hätten syrische Filmemacher dennoch eine Solidaritätserklärung mit den Protestierenden verfasst und zur Unterstützung für die Regimegegner aufgerufen. Es habe danach noch einige Zeit gebraucht, bis die ersten Filme von syrischen Künstlern zur Lage in Syrien veröffentlicht worden seien. Das hänge damit zusammen, dass die syrische Kunstszene nicht besonders etabliert gewesen sei und dass die syrischen Filmemacher nicht vorschnell hätten reagieren wollen.

Um Probleme jetzt offen und direkt ansprechen zu können, gebe es sowohl für Künstler als auch für Nicht-Professionelle in Syrien die Notwendigkeit, anonym zu arbeiten und publizieren. Das Regime gehe mittlerweile gegen jeden vor, der eine Kamera habe und betrachte sie als einen der schlimmsten Feinde. Wieder bringe die besondere Situation der Videofilmer eine bestimmte Ästhetik hervor. Da syrische Videofilmer schnell arbeiten müssten, seien die Filme häufig kurz und auf Wesentliches reduziert. Außerdem sei alles möglichst vage gehalten, Personen und Gegenden meist nicht genau zu erkennen. Jeder habe eigene Konzepte, wie er sich, seine Familie und die Menschen in seiner Umgebung schütze. Zwei Beispiele seien der Film The Sun’s Incubator des syrischen Künstlers Ammar al-Beik, der auf der Biennale von Venedig gezeigt worden ist, und der anonym veröffentlichte nicht-professionelle Film Smuggling 23 Minutes of Revolution.