Mit Kettenreaktion lässt Sebastian Stammsen seine Leser zum zweiten Mal die Ermittlungen der Kriminaloberkommissare Markus Wegener und Nina Gerling aus der Perspektive von Markus Wegener miterleben. Nachdem sie es in Sebastian Stammsens Debüt Gegen jede Regel mit einem ermordeten Computerfreak zu tun hatten, ermitteln sie nun in seinem neuen Kriminalroman Kettenreaktion nach dem Tod eines Mannes, der in der Fernsehabteilung eines Krefelder Elektromarktes auf einem Fernsehbildschirm tot zusammengebrochen ist. Das Überwachungsvideo aus dem Elektromarkt zeigt Ungewöhnliches:
Was auch immer David Krusekamp zu Fall gebracht hatte, ich hatte noch nie einen Menschen gesehen, der sich so verhielt. Fahrige, unkoordinierte Bewegungen begleiteten seinen Sturz auf den Fernseher. Er wirkte mehr wie ein Crashtestdummy mit Gummigelenken als ein Mensch
Auch die Gerichtsmediziner finden zunächst keinen eindeutigen Grund für seinen Tod. Als sich herausstellt, dass der tote David Krusekamp Elektriker von Beruf war und häufiger in Kernkraftwerken gearbeitet hat, befürchten die Mediziner einen Zusammenhang. Bei der Befragung sieht der Leiter des Teams, in dem David Krusekamp gearbeitet hat, jedoch keinen Grund zur Sorge. Er vermutet viel mehr ein Eifersuchtsdrama, denn David Krusekamp habe bereits seit mehreren Jahren ein Verhältnis mit einer Frau gehabt, die im Kernkraftwerk arbeitet. Über Jahre habe das Verhältnis der beiden keinerlei Schwierigkeiten bereitet, aber letzte Woche sei ihr Mann dahinter gekommen und im Hotel aufgetaucht, ein muskulöser Typ.
Die Ermittler bekommen Gelegenheit, sich einen genauen Eindruck von den Sicherheitsbestimmungen in dem Kernkraftwerk zu machen, in dem David Krusekamp zuletzt gearbeitet hat. Ausführlich beschreibt der Autor den Aufenthalt samt Sicherheitsvorkehrungen, Strahlenmesswerten und Ängsten von Markus Wegener:
Zwar wusste ich nichts von den technischen Zusammenhängen in dieser Anlage, aber ich war trotzdem fasziniert. Jede einzelne Komponente war fein säuberlich mit einem Schild beschriftet und eindeutig zu identifizieren. Wir sahen Druckluftleitungen, Ölleitungen, Wasser- und Dampfleitungen. Beeindruckend war, dass ich trotz intensivster Suche auch nicht den kleinsten Krümel auf dem Boden entdeckte
Die Sicherheitskontrollen sind so streng, dass die beiden Polizisten keine Möglichkeit sehen, dass eine strahlenbelastete Person unbemerkt das Kraftwerk verlassen oder strahlende Partikel nach draußen geschmuggelt werden könnten. Markus Wegener verlässt das Kernkraftwerk dennoch irgendwie mit einem eher beruhigten Gefühl.
Als das Emittlerduo am nächsten Tag noch einmal in das Kernkraftwerk zurückzukehren versucht, erfahren sie, dass es besetzt worden ist und das Personal als Geiseln genommen worden ist. Alle Sicherheitsvorkehrungen, die das Kraftwerk gegen äußere Angriffe schützen sollen, wenden sich nun gegen die Retter und stellen eine Gefahr dar. Bei einem Treffen mit den Geiselnehmern, an dem auch Markus Wegener teilnimmt, werden sie von einem Mann begrüßt, der alle von seiner Unberechenbarkeit überzeugt:
‚Ist das nicht wunderbar?’, fragte der Mann. Er wirkte aufgekratzt, euphorisch, aber zeigte sonst keine Anzeichen für Drogenkonsum. Wahrscheinlich sprach er gar nicht mit uns, denn er drehte sich im Kreis und wiederholte: ‘Ist das nicht wunderbar?‘
Als die Geiselnehmer sich versiert im Umgang mit der Technik des Kernkraftwerks zeigen und neben einer hohen Geldsumme verlangen, dass der Ausstieg aus der Kernenergie per Gesetz wieder zurück genommen wird, ist klar, dass die Geiselnehmer zumindest zum Teil schon einmal in einem Kernkraftwerk gearbeitet haben müssen und keine Umweltaktivisten sein können.
Kettenreaktion ist mehr als ein Kriminalroman. Sebastian Stammsen, der Psychologie studiert und früher im Umweltministerium Baden-Württemberg in der Abteilung Kernenergieaufsicht gearbeitet hat, bildet ausführlich und fachkundig die Diskussion über Vor- und Nachteile der Kernenergie nach Fukushima ab. Das Buch zeigt, wo aus technischer Sicht Risiken liegen können, räumt mit Vorurteilen auf und richtet den Fokus auf eine Gefahrenquelle, die in vielen Gesprächen gar nicht vorkommt: den Menschen.
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