Als ich den Bereich der Ausstellung 12 Rooms im Museum Folkwang in Essen betrete, wirkt auf mich alles sehr unspektakulär. Ich sehe nur graue Wände, in die manchmal eine Tür eingelassen ist. Die Türen sind verschlossen und es sind auch keine Geräusche zu hören. Langsam bemerke ich, dass ich mich in einem labyrinthartigen Gangsystem aus grauen Wänden und verschlossenen Türen bewege. An den Ecken der Wände sind offenbar die Namen der Künstler und des Kunstwerks hinter der Tür vermerkt, auf das ich mir von Außen keinerlei Vorstellung machen kann.
Türspalt in einem labyrinthartigen Gangsystem
Ich gelange an eine Tür, die einen Spalt breit offen steht und so fixiert ist. Von Außen habe ich den Eindruck, dass sich dahinter schwärzeste Dunkelheit befindet. Auch als ich an den Türspalt näher heran trete, kann ich überhaupt nicht erkennen, was sich in dem Raum befindet oder abspielt. Xavier Le Roy, der Künstler, der diesen einen der insgesamt zwölft Räume gestaltet hat, spricht beim tumbletalk davon, dass Dunkelheit nur auf den ersten Blick eine Veränderung in der menschlichen Wahrnehmung einer unbekannten Situation ist. Der Besucher wisse, dass er eine gewisse Zeit brauche, bis er sich an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt habe und etwas im Raum erkennen werde. Eigentlich brauche man aber immer längere Zeit, um sich auf eine unbekannte und unvertraute Situation einzustellen und sie erfassen zu können. Im Museum könne der Besucher im Gegensatz zum Theater selbst entscheiden, wie lange er sich welchem Kunstwerk widme. Im Theater sei der Besucher eher passiv und bleibe die ganze Zeit auf seinem Platz sitzen. Er lasse als Teil einer Gruppe andere über den Inhalt der nächsten Zeit entscheiden. Live-Art könne beide Prinzipien miteinander verbinden. Als ich mich durch den dunklen Türspalt wage, weiß ich, dass sich wahrscheinlich in jedem der zwölf Räume lebende Menschen als Performer befinden. Ich kann im Inneren einige Zeit nichts erkennen und gehe aus Angst davor, auf jemanden zu treten lieber erst einmal wieder hinaus.
Menschliche Türen und Kopfhörer im Solarium
Als ich die grauen Gänge entlang laufe, entdecke ich einen Raum ohne Tür und sehe Menschen in bunter Sportkleidung sich in dem offenbar runden Raum in unterschiedlichen Geschwindigkeiten im Kreis bewegen. Ich bin bei der Revolving Door von Allora & Calzadilla angekommen.
Ich setze meinen Rundgang fort und bin langsam bereit, eine Tür zu öffnen und mir anzusehen, was sich dahinter verbirgt. Ich sehe einen blonden jungen Mann mit Badehose, der auf einem grell erleuchteten Solarium liegt. Er hat einen dunklen Lichtschutz auf den Augen und Kopfhörer im Ohr. Fast stakkatoartig ruft er in regelmäßigen Abständen französische Wörter. Die Wörter ergeben keinen Satz und keinen Sinn. Das Solarium steht in der Mitte des Raumes, darum herum sind nur leere weiße Wände. An einer Stelle hängt ein weißer Bademantel an der Wand, davor stehen Badelatschen. Der junge Mann ruft weiter französische Wörter und scheint auf nichts um sich herum zu reagieren. Simon Fujiwara hat diesen Raum gestaltet. Ihm gehe es bei Future / Perfect darum, einen typischen Repräsentanten seiner Generation zu zeigen, sagt Simon Fujiwara im tumbletalk. Die Thatcher-Regierung habe unter den Menschen in Großbritannien die Erwartung geweckt, dass jeder, der vor allen Dingen gut aussehe und eine fremde Sprache gelernt habe, erfolgreich und ‘easy-going’ sein werde. Tatsächlich sei der junge Mann komplett isoliert und könne nicht mit seiner Außenwelt interagieren, da er nichts sehen und hören könne. Er brabbele lediglich Wortfetzen aus einer fremden Sprache vor sich hin und höre über seine Kopfhörer nur seine Sprachlernübung. Als Performer des idealisiert wirkenden jungen Mannes in dieser futuristischen Umgebung, seien junge Arbeitslose aus der Gegend ausgewählt worden. Manche Rezipienten hätten Parallelen zu Dorian Gray gezogen. Dem Protagonisten in dem gleichnamigen Roman von Oscar Wilde gelingt es für lange Zeit, die optischen Spuren seines ausschweifenden und moralisch fragwürdigen Lebens zu verbergen. Auch der gut gebaute junge Mann auf dem Solarium sei dort einem schnellen Alterungsprozess ausgesetzt und sein gutes Aussehen extrem gefährdet. Die Szenerie habe etwas von einem absurden Theaterstück.
Brabbeln und ein Feuerzeug
Ich gehe weiter die Gänge entlang und entdecke Besucher, die vor einer Tür knien, die keine ist. An Stelle der Tür ist eine Vertiefung in der Wand. Nur wenige Zentimeter über dem Boden ist ein Loch im Türrahmen, durch das man nur sehen kann, wenn man sich ganz auf den Boden kniet. Auch ich knie mich auf den Boden und kann in einer Art Zimmer mit extrem niedriger Decke neben einer großen Lampe auf dem Teppichboden eine liegende Person erkennen. Es scheint sich um eine Frau zu handeln, die sich kaum bewegt, nichts um sich herum wahrnimmt und unverständlich vor sich hin brabbelt. Ich gehe nach einer Weile weiter.
In manchen Räumen frage ich mich eine ganze Weile, ob ich wirklich einen lebendigen Menschen vor mir habe oder doch eine Puppe. In anderen Räumen werde ich und die anderen Besucher sofort in ein Gespräch verwickelt, wie im Raum mit dem Titel Swap von Roman Ondàk. Der Performer hält ein gelbes Feuerzeug in den Händen und spricht auf Englisch über Tausch als Grundlage des menschlichen Zusammenlebens. Er sitzt in einem sonst kahlen Zimmer an einem einfachen Tisch, wie er auch von Schülern in der Schule benutzt werden könnte. Nach einer Weile bietet ein Besucher dem Performer ein Paket Taschentücher im Tausch gegen das gelbe Feuerzeug. Der Performer willigt begeistert ein. Besucher und Performer einigen sich darauf, später zu besprechen, wie lange der Performer das Paket Taschentücher behalten und wogegen er es schließlich eingetauscht hat. Ich und alle anderen Besucher verlassen danach den Raum.
Sprache und Rauschen
Angekommen im Room Tone von Lucy Raven erlebe ich, wie ein zuvor auf einem Tonband aufgenommener Text von einer Frau immer wieder abgespielt und zeitgleich auch aufgenommen wird. An einer Wand neben dem Tisch mit den Tonbändern gibt es eine sofaartigen Sitzgelegenheit. Ich nehme darauf Platz und höre, wie sich die Stimme von Mal zu Mal verzerrter anhört und langsam im allgemeinen Rauschen untergeht. Für diese Performance habe sie sich von dem amerikanischen Komponisten Alvin Lucier inspirieren lassen, erklärt Lucy Raven im Rahmen des tumbletalk. Er habe 1969 ein Stück namens I am Sitting in a Room entwickelt, das nie öffentlich aufgeführt worden sei. Wie in dem von Lucier erdachten Raum gebe es auch in diesem ein Mikrofon, zwei Tonbandgeräte, einen Verstärker und einen Lautsprecher. Die Aufnahmen würden mehr und mehr von den natürlichen Resonanzfrequenzen des Raums gedämpft. Was nach dem langsamen Verschwinden der Stimme und der Geräusche der Besucher letzlich von der Aufnahme auf dem Band übrig bleibe, sei der ‘Raum-Ton’. Als Performerin arbeite sie häufig, auch in diesem Fall, mit Handlungsanweisungen. Ein Computer funktioniere auch auf dieser Basis, er sei das Gerät, das Handlungsanweisungen ausführe. Für Room Tone arbeite sie aber mit einem Tonbandgerät, das technisch gesehen noch nicht so weit entwickelt sei wie ein Computer. In den 80ern seien Tonbandgeräte sehr populär gewesen, sie wolle auf die Geschichte des Entertainments und der Technik hinweisen. Eine Aufnahme zu machen sei eine Form des Protests gegen das Vergessen.
In ständiger Veränderung
Nach und nach erkunde ich die restlichen Räume der Ausstellung. Manchmal gelange ich in einen Raum, den ich vorher schon einmal besucht habe und finde eine deutlich veränderte Situation vor. Genau gesagt, erlebe ich an keiner Stelle dasselbe ein zweites Mal und bekomme Spaß daran, die Räume immer wieder zu besuchen.
Das Thema Zeit zu behandeln und eine enge Verbindung zwischen dem Theater und dem Museum herzustellen seien die Vorgaben für diese Ausstellung gewesen, konnten Besucher des tumbletalk von den Kuratoren der Ausstellung, Klaus Biesenbach und Hans Ulrich Obrist, erfahren. In Auftrag gegeben habe die Ausstellung das Manchester International Festival. Dort sei die Ausstellung zuvor mit 11 Räumen zu sehen gewesen. Im Museum Folkwang seien Damien Hirst und Xavier Le Roy neu hinzugestoßen. Interessiert habe sie, intime Erlebnisse mit Menschen zu erzeugen, die sich nicht kennen. Die Räume seien vergleichbar mit der Situation, wenn man einer unbekannten Person in einem Fahrstuhl begegne, die ungewöhnlich aussehe oder etwa nackt sei und mit der man eine gewisse Zeit verbringen müsse, nachdem sich die Türen geschlossen hätten. Außerdem hätten sich die Performer an klassische Statuen anlehnen sollen, die Menschen für gewöhnlich sehr idealisiert darstellten. In der Ausstellung 12 Rooms sei die idealisierte Person lebendig und benähme sich häufig unerwartet und unvorhersehbar. Man wolle, dass sich die Ausstellung weiter entwickele, es sei bereits geplant, dass die Ausstellung vermutlich in einer veränderten Form danach in Sydney zu sehen ist.
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