Bellboy

In Bellboy von Jess Jochimsen steht plötzlich ein Taxifahrer vor Lukas’ Tür und fragt, ob der Irre zu ihm gehört. Lukas entdeckt im Hausflur seinen Cousin Paul, den er lange nicht gesehen hat und der sich ungewöhnliche benimmt. Der Taxifahrer verlangt noch sein Fahrgeld und drückt Lukas einen Zettel in die Hand, auf der in Kinderschrift seine Adresse und der Satz: ‘Er muss es wissen’ steht. Lukas ist ratlos. Es ist die erste Begegnung mit seiner Familie nach einer Ewigkeit:

Paul ist mein kleiner Cousin, mehr als zehn Jahre hatte ich ihn nicht gesehen, er blieb zurück in der Provinz, in der miefigen Enge von Elternhaus und Verwandtenbesuchen, von grauen Reihenhaussiedlungen, einsamen Bushaltestellen und traurigen Stadtfesten. Er blieb zurück in der Welt der Ausfallstraßen, der Sonntagskleidung, der Ohrfeigen, der >Willst du mit mir gehen?<-Zettelchen, er blieb zurück in dem Leben mit Hautausschlag, das ich verlassen hatte

Lukas weiß sich nicht anders zu helfen, als bei der Verwandtschaft, die nach wie vor in seinem Heimatdorf lebt, anzurufen und sich nach Paul zu erkundigen. Für Lukas eine aufwühlende Begegnung mit der ‘heilen Welt’ der Kleinstadt, schon der Anrufbeantworterspruch seiner Schwester bringt ihn in Rage.

Nach und nach wird Paul zum festen Bestandteil von Lukas’ WG. Er erholt sich, ist fröhlich und bemüht sich nach Kräften, im alltäglichen Tagesablauf eine Hilfe zu sein. Doch Pauls extreme Vergesslichkeit wird mehr und mehr zum Problem. Lukas kümmert sich immer hingebungsvoller um Paul. Die WG wird zu einem eingespielten Team, das an freien Tagen gemeinsam viele Reisen unternimmt, bei denen Paul zum ersten Mal in einem Hotel übernachtet, dem Bundeskanzler seine Handynummer hinterlässt oder ein Ausflugsschiff der Königlich-Bayerischen Seenschifffahrt auf dem Starnberger See zum Kentern bringt.

Nikolas Nickelby

Nach dem Tod des Vaters von Nikolas Nickelby ist seine Witwe mittellos und gerät mit ihren beiden Kindern in die Hände des Bruders ihres toten Mannes. Ralph Nickelby ist Geschäftsmann, lebt in London und nach vielen Jahren harter Arbeit gelingen mittlerweile die meisten seiner Investitionen. Beteiligt ist er etwa an Geschäften wie der über Nacht aus dem Boden gestampften “Vereinigte, verbesserte, hauptstädtische Warme-Semmeln- und Kuchenbäckerei und pünktliche Ablieferungsgesellschaft”, die nach Ansicht eines Initiators schon allein wegen des Namens zu einem herausragenden Erfolg werden müsse und deren Aktien “in zehn Tagen über pari stehen” sollten. Mit viel Humor beschreibt Charles Dickens, wie das Unternehmen mit einer rührseligen Rede im Parlament vorgestellt wird und danach als etabliert bezeichnet werden kann:

Sodann stand Mr. Bonney auf, um die erste Resolution zu beantragen, fuhr sich mit der Rechten durch die Haare, pflanzte die Linke zierlich in die Hüfte, vertraute seinen Hut der Sorgfalt des Herren mit dem Doppelkinn an, der außerdem auch noch die Weinflaschen für die Redner bereithielt, und erklärte, dass die anwesende Versammlung nur mit Besorgnis und Unruhe auf den gegenwärtigen Stand des Semmelhandels in der Hauptstadt und deren Nachbarschaft  blicken könne, – dass die Semmeljungen, wie sie gegenwärtig beschaffen seien, das Vertrauen des Publikums ganz und gar nicht verdienten, und dass überhaupt das ganze Semmelsytem ebenso nachteilig für die Gesundheit und Sittlichkeit des Volkes wie verderblich für die höchsten Interessen einer Großstadt wären. Die Rede des ehrenwerten Herren entlockte den zuhörenden Damen reichlich Tränen und weckte bei allen Anwesenden die lebhaftesten Empfindungen

Ralph Nickleby ist wenig begeistert, die Familie seines Bruder durchbringen zu müssen. Er besorgt Nikolas und dessen Schwester Kate Arbeit in seinem Bekanntenkreis. Nikolas ist zunächst Hilfslehrer in einer sogenannten ‘Schule’ außerhalb Londons. Die Kinder werden misshandelt, bekommen nicht genug zu essen und sind dadurch körperlich gezeichnet:

Und erst die Zöglinge! Die jungen Aristokraten! Die letzten schwachen Hoffnungsstrahlen, der entfernteste Lichtblick einer Möglichkeit, dass erste Bemühungen in dieser Höhle des Elends je etwas Gutes erzielen könnten, schwanden aus Nikolas’ Seele, als er mit Schrecken der Wirklichkeit ansichtig wurde. Bleiche, abgezehrte Gesichter, hagere Gerippe, Kinder mit den Zügen von Greisen, Missgestalten mit eisernen Schienen an den Gliedern, Knaben im Wachstum unterdrückt, und andere deren lange, dünne Beinchen die gebeugten Körper kaum zu tragen vermochten, drängten sich vor seinen Blicken

Diese Schilderungen beruhen offenbar auf Tatsachen. Rudolf Beck erklärt im Nachwort, dass der Roman Nikolas Nickleby nicht nur so erfolgreich gewesen ist, dass ein Groschenheft-Verleger Charles Dickens durch einen Text mit dem Titel Nickelas Nickelbery Konkurrenz zu machen versucht hat, sondern dass auch die Times im Jahr 1823 Zeitungsberichte über die Zustände in Privatschulen veröffentlicht hat, die den Beschreibungen im Roman ähneln. In der Folge haben viele Schulen schließen müssen.

Im Roman muss Nikolas Nickleby die ‘Schule’ nach relativ kurzer Zeit wieder verlassen, nachdem er in eine körperliche Auseinandersetzung mit dem Eigentümer geraten ist. Auf Wunsch seines Onkels darf er nicht bei seiner Familie bleiben und kommt bei einem umherreisenden Theaterensemble unter, wo er ein Theaterstück schreibt und als Schauspieler arbeitet. Auch seine Schwester Kate hat wenig Glück in der Berufswelt. Im Salon einer Putzmacherin ist sie den Zudringlichkeiten des Ehemanns der Chefin und den Eifersüchteleien der Kolleginnen ausgesetzt. Mit viel Mühe gelingt es nach ihrem Rauswurf, sie als Gesellschafterin einer vermögenden Dame unterzubringen. Aber auch dort kann sie nicht lange bleiben.

Trotz aller Schwierigkeiten gibt es am Ende ein Happy End. Beiden Geschwistern gelingt es, zu heiraten und sie leben beieinander in einigermaßen geordneten finanziellen Verhältnissen. Sogar die Witwe Mrs. Nickleby gewinnt noch einmal einen Verehrer für sich:

Kate war nicht wenig verwirrt und wollte ihre Mutter eben um nähere Erklärung bitten, als sich abermals dasselbe Geheul vernehmen ließ und überdies ein Lärm, als wenn ein älterer Herr ungestüm in losem Sande herumtrample. Und dann sah man plötzlich mit der Geschwindigkeit einer Rakete eine große Gurke durch die Luft fliegen, sich überschlagen und zu Mrs. Nicklebys Füßen niederfallen. Diesem höchst seltsamen Meteor folgte bald ein ähnlicher, nämlich eine schöne Kürbismelone von ungewöhnlichem Umfang. Gleich darauf flogen mehrere Gurken zusammen auf, gefolgt von einem Schauer Zwiebeln und ähnlichen Küchenkräutern, dass sich fast der Himmel verdunkelte, bis sie nach allen Richtungen niederfielen und auf dem Boden herumkollerten

Begleitet werden diese regelmäßigen Aktionen des Nachbarn von Liebesschwüren, die Mrs. Nickleby jedoch einfühlsam mit Hinweis auf die Verpflichtungen ihren Kindern gegenüber zurückweist.

Der Roman Nikolas Nickleby ist ein echter Wälzer von mehr als 1.000 Seiten, der gerade durch die sprachgewandte Übersetzung von Gustav Meyrink an vielen Stellen viel Spaß beim Lesen macht. Der für seine sozialkritischen Bücher berühmte Charles Dickens hat zwar 2012 seinen zweihundertsten Geburtstag gefeiert, dennoch könnten viele der von ihm in Nikolas Nickleby beschriebenen Szenen auch heute in ähnlicher Weise geschehen.

Dornröschen interaktiv

Nach dem Fingertipp auf die App erklingt fröhliche Musik, am oberen Rand scheinen die rosa gezeichneten Rosen hin und her zu wehen und es regnen kleine gelbe Blüten auf das gekrönte Dornröschen interaktiv. Am lila Rand funkeln die Sterne. Ganz rechts blinkt  in einem kleinen golden verzierten Rahmen ein kleines Buch, das sich immer wieder auf und zu klappt. Nach einem Fingertipp auf das kleine Buch erscheint eine Zeichnung des iPads und es wird genau erklärt, mit welchen Klicks an bestimmte Stellen des Bildschirms welche Funktionen ausgeführt werden können.

Das Märchen wird mit vielen fantasievollen Bildern erzählt, die häufig an einigen Stellen animiert sind und sich durch bestimmte Fingertipps noch weiter in Bewegung setzen lassen. Zum Teil kann man als Leser regelrecht kleine Comicfilme vor- und rückwärts abspielen lassen und dabei auch die Geschwindigkeit bestimmen. Einige Effekte lassen sich auch durch Drehen und Rütteln des iPads auslösen.

Jeden Bildabschnitt begleitet die passende Textpassage. Mit einem Fingertipp kann man sich den Text auch von einem Sprecher vorlesen lassen. Alle Abschnitte sind mit Musik unterlegt. Dabei  gibt es nicht nur durch die zahlreichen Möglichkeiten, die Bilder zu bewegen, viel zu entdecken. In alle Zeichnungen hat der Zeichner eine kleine Maus versteckt, die sich manchmal nur finden lässt, wenn man die Bilder sehr genau betrachtet. Tippt man mit dem Finger auf die kleine Maus, erscheinen neue Bilder, die die Geschichte ergänzen.

Seit Wochen führen die Märchen der Gerüder Grimm die iTunes-Buch-Bestseller-Liste an. Die Dornröschen-App des Fischerverlags erzählt den Klassiker auf besonders vielseitige und fantasievolle Weise.

Das Vamperl

Das Vamperl ist ein kleiner Vampir mit einer ganz außergewöhnlichen Eigenschaft: An Stelle von Blut saugt er den Menschen das Gift aus der Galle und bewirkt so, dass sie alle freundlich werden. Nachdem er sich in einem Spinnennetz verfangen hat, findet ihn seine Ziehmutter Frau Lizzi und päppelt ihn auf. Nach und nach verliert sie ihre anfängliche Angst vor ihm und  befreit ihren Vamperl sogar aus den Klauen eines Professors. Der hat den kleinen Vampir wegen seiner Fähigkeit, die Menschen freundlich zu stimmen, gefangen genommen. Schließlich unterstützt Frau Lizzi ihren Liebling sogar bei der Suche nach einer passenden Vampirin, obwohl sie sich das Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen kann. Insgesamt vier Bände der Vamperl-Geschichten, deren geistige Mutter die österreichische Schriftstellerin Renate Welsh ist, sind bisher erschienen.

Das Vamperl, Band 1 der Damperl-Serie, ist unter dem Titel Little Vampie auch auf Englisch erschienen. Vamperl soll nicht alleine bleiben und Wiedersehen mit Vamperl, Band 2 und 3, sind als App für das iPad erhältlich. Die App enthält nicht nur den Text der Vamperl-Geschichten, auf ein Fingertippen hin kann man sich den Text auch von einer Sprecherin vorlesen lassen oder selbst das Vorgelesene aufnehmen und wieder abspielen lassen. Die tollen Illustrationen von Heribert Schulmeyer begleiten den übersichtlich gestalteten Text und umrahmen ihn. Es lohnt sich, am illustrierten Rand des Textes auf Entdeckungsreise zu gehen, denn einige der Bilder bewegen sich, wenn man sie antippt.

Außerdem kann man die App auch als Puzzle und Malbuch verwenden. Nur mit den Fingern kann die Malvorlage mit unterschiedlichen Farben ausgemalt, natürlich jeder Zeit wieder korrigiert und gelöscht oder auch gespeichert und verschickt werden. Außerdem gibt es auch einen leicht verständlichen Text, der erklärt was man mit der App machen kann und wie es geht. So macht das Lesen noch mehr Spaß!