Le cri

Szene aus "Le cri" von Nacera Belaza

Der Anfang von Nacera Belazas Le cri wirkt wie ein Durcheinander aus lautem Geschrei und Gerempel – kurz: es könnte die Geräuschkulisse in einer Schulpause sein. Im Dunkeln sind schemenhaft zwei Menschen auf der völlig im Schwarzen liegenden Bühne zu erahnen. Ganz sachte wird das Licht intensiver. Langsam werden die Konturen einer Person deutlicher. Im Hintergrund ist jetzt ein murmelnder Gesang zu hören.

Plötzlich wirkt es, als hätte die deutlicher erkennbare Person goldene Füße, der ganze Körper ist immer mehr in golden wirkendes gleißendes Licht gehüllt. Man erkennt, dass die Person eine Frau ist. Sie trägt eine weite Hose, ein langärmeliges T-Shirt und ein kurzes darüber, alles in lila Farbtönen. Ihre Haare hat sie zu einem kurzen Zopf zusammengebunden.

Genauso wie sie bewegt sich auch die andere Person sachte von einem Bein auf das andere. Langsam wirkt auch sie wie in Gold gehüllt. Man erkennt immer deutlicher, dass beide Frauen nicht nur fast vollkommen synchron dieselben Bewegungen ausführen, sie tragen auch die gleiche Kleidung und Frisur. Genauso wirken ihre Gesichter zum Verwechseln ähnlich.

Im Hintergrund wird eine knisternde alte Plattenaufnahme von Nina Simone ‚Black Is the Color of My True Love’s Hair‘ immer lauter. Die Musik wird begleitet und gestört von einem orientalischen Männergesang, der immer lauter wird. Die beiden Frauen bewegen sich immer ausladender und lebendiger, sie schwingen mit den Armen, immer noch synchron und voneinander fast nicht zu unterscheiden.

Mittlerweile ist so viel Licht auf der Bühne, dass der Zuschauer erkennen kann, dass alle Musik aus einem einzigen verschwindend klein wirkenden Lautsprecher in der linken Ecke der Bühne kommt. Der Gesang des orientalischen Mannes wird immer aggressiver und lauter. Schließlich übertönt er sogar den Gesang Nina Simones samt Orchester und man hört deutlich, dass er von einem Trommeln begleitet wird.

Die beiden Frauen bewegen sich zu dem immer schnelleren Rhythmus des orientalischen Gesangs und der Trommeln. Plötzlich werden ihre Bewegungen asynchron, ihre Armbewegungen ausladender und unruhiger. Es tritt wieder der Schulpausenlärm in den Vordergrund und plötzlich wird es dunkel. Als es wieder hell ist, stehen beide Frauen ganz vorne auf der Bühne unmittelbar vor der ersten Zuschauerreihe und bewegen wieder sachte die Arme und sind synchron, fast wie ganz am Anfang.

Der klassische Gesang Maria Callas aus Verdis ‚La Traviata‘ wird immer lauter. Es wird wieder dunkel und die beiden Frauen stehen auf einmal weit hinten auf der Bühne in hellem Licht. In die klassische Musik mischt sich immer deutlicher Popmusik und der Gesang Maria Callas wird immer mehr von Amy Winehouse ‚Some Unholy War‘ abgelöst. Die beiden Frauen verlassen auf einmal ihren sonstigen Bewegungsablauf und fangen einzeln und mit dem ganzen Körper zu tanzen an. Sie bewegen sich wieder unmittelbar vor die Zuschauer.

Als die Musik von Amy Winehouse immer dominanter wird, wiegen sie sich nur noch regelrecht apathisch von einem Bein auf das andere. Schließlich verschwinden sie ganz von der Bühne und auf einer Leinwand im Hintergrund  werden langsam weiße Flecke immer deutlicher. Schließlich sind fünf Gestalten zu erkennen, die dieselbe Kleidung wie die beiden Frauen auf der Bühne tragen und es scheint, als bildeten sie auch wieder die erste Reihe der Tänzerinnen auf der Leinwand.

Zu dem Song ‚I Wanna Jump‘ von Ike und Tina Turner bewegen sie die Arme immer ausladender bis es schließlich wirkt, als seien ihnen Flügel gewachsen. Die Bewegungen auf der Leinwand haben immer mehr etwas von einem zu schnell abgespielten Trickfilm und bleiben schließlich wie eingefroren stehen.

Die Produktion Le Cri der algerischstämmigen und in Frankreich lebenden Choreografin Nacera Belaza, die sie gemeinsam mit ihrer Schwester aufführt, ist 2008 mit dem französischen Kritikerpreis im Bereich Theater, Musik und Tanz ausgezeichnet worden.

Foto: ©Agathe Poupeney

Der Text ist erstmals auf dem Blog www.textblueten.wordpress.com veröffentlicht worden.

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