Vertical Road

Szene aus "Vertical Road" der Akram Khan Company

Ich starb als Stein und wurde als Pflanze geboren.

Ich starb als Pflanze und wurde Tier.

Ich starb als Tier und bin zum Menschen geworden.

Was also sollte ich fürchten?

Wen verlor ich durch den Tod?

Nächstes Mal sterbe ich als Mensch,

Auf dass ihm die Flügel der Engel wachsen.

Doch selbst vom Engel muss ich weitergehen;

Alle Dinge vergehen, doch nicht Sein Angesicht.

Noch einmal erhebe ich mich über die Engel;

Was unvorstellbar ist, das werde ich sein.(Rumi)

Der persische Poet Mevlana Rumi ist eine der Hauptinspirationsquellen für den aus Bangladesch stammenden Choreografen Akram Khan bei der Konzeption des Tanztheaterstücks ‘Vertical Road’. Ergänzt durch die Musik des indisch-britischen Songwriters, DJs, Multi-Instrumentalisten und Komponisten Nitin Sawhney bringt er das Tanzstück Vertical Road mit seiner Akram Khan Company auf die Bühne.

Das Erste, das der Zuschauer auf der Bühne sieht, ist eine riesige, die ganze Bühne ausfüllende und von hinten erleuchtete, Leinwand. Schattenartig erkennt man einen Menschen hinter der Leinwand und eine kleine Gruppe Menschen auf der anderen Seite davor, auf der Bühne. Der Mensch bewegt sich hinter der Leinwand, versucht sie zu durchstoßen – vergeblich. Die Menschen auf der Bühne bilden einen Kreis um seinen Schatten.

Es wird immer heller und es ertönen laute Geräusche, Krach, ein Wummern, fast wie Flugzeuglärm. Die Menschen auf der Bühne haben sich aufgerichtet. Man erkennt Männer und Frauen, bis auf eine Frau in dieselben hellen weiten Hosen und Kittel gehüllt. Die sieben haben unterschiedliche Hautfarben.

Der Mensch, der vorher nur schattenartig hinter der durchsichtigen Leinwand zu sehen war, ist auf einmal auch auf der Bühne. Seine Kleider sind dieselben wie die der anderen Menschen, nur etwas dunkler. Er berührt die unbeweglich stehenden Fremden und geht schließlich an den Rand der Bühne, wo sieben kleine schwarze Bretter nebeneinander stehen. Er schubst ein Brett und die anderen fallen um wie Dominosteine. Sofort richtet er sie wieder auf. Die Tänzer beginnen sich zu bewegen zu etwas, das wie laute wummernde Trommelschläge klingt. Der Beat wird immer schneller, genauso wie die Bewegungen der Tänzer.

Der Mensch bleibt abseits der Gruppe, sieht den sich bewegenden zu. Die Gruppe versucht, den Einzelnen in ihren Tanz zu integrieren, bis alle zu Boden stürzen.  Langsam richten sich manche wieder auf, schließlich tanzt auch der Fremde mit ihnen. Der Trommelschlag wird manchmal von einem schräg-klagenden Geräusch ergänzt, das ein wie menschlicher Gesang klingt. Dann ertönen laute Töne. Sie erklingen unerwartet und ergeben keine Melodie.

Als der Gesang immer melodischer wird, haben ein Mann und eine Frau miteinander zu tanzen begonnen. Sie kapseln sich von der Gruppe ab und der Gesang des Chores im Hintergrund wird immer schiefer und schriller. Der Mann hält die Frau fest, entfernt sie von der Gruppe. Der Gesang verschwindet und die Percussion tritt wieder in den Vordergrund. Der Mann bewegt sich alleine wieder auf die Gruppe zu und wird nach und nach als Tänzer von ihnen wieder integriert.

Plötzlich mischen sich Töne einer klassischen Violine unter den Trommelschlag und  der Einzelne, der am Anfang hinter der Leinwand war, wird angeleuchtet. Er hält die Hände nach oben und wirkt, als ob er sich an einem unsichtbaren Seil in Richtung Himmel ziehen wollte, aber er kommt nicht von der Stelle. Während dessen tanzt die Gruppe weiter. Der Einzelne ist schließlich umringt von ihnen, aber er will sie offenbar auf Abstand halten.

Er umfasst eine der Tänzerinnen und trägt sie ins Abseits. Es ertönen leise, zarte Klänge. Fast augenblicklich löst sich ein anderer Tänzer aus der Gruppe und geht ihnen hinterher. Die Tänzerin muss gestützt werden, immer wieder droht sie zusammenzubrechen. Nach mehreren Drohgebärden lässt sich der Einzelne auf einen Tanz mit dem anderen Mann ein, der hektisch und voller Drohungen ist und wie ein Kampf wirkt. Sich selbst überlassen, sinkt die Frau zu Boden. Ein anderer Tänzer nähert sich ihr und sie geht schließlich zurück in die Gruppe.

Durch einen Spot auf die schwarzen Holzplatten erkennt der Zuschauer, dass drei der Holzplatten umgekippt sind. Der Einzelne nimmt einen Tänzer aus der Gruppe an der Hand und zieht ihn in Richtung der schwarzen Platten. Sie richten die Platten wieder auf, aber plötzlich nimmt der Tänzer eine Platte und schlägt sie auf den Boden. Er richtet sich auf und tanzt mit ihr. Als der Einzelne die Platte berühren will, fängt sein Körper an zu zucken und er lässt sie wieder los. Schließlich tanzt aber auch er mit der schwarzen Platte.

Im Abseits ist sich das Paar, das zuerst zusammengefunden hat, näher gekommen. Sie tanzen eng miteinander, rollen zusammen über den Boden. Als sie sich wieder aufrichten, wendet die Frau sich ab und sinkt schließlich zu Boden. Der Mann versucht sie zu stützen und zu tragen, aber einige der Tänzer aus der Gruppe nähern sich dem Paar. Er muss sie in die Flucht schlagen und schließlich die Frau sich selbst überlassen. Ein anderer Tänzer kommt und zwingt die Tänzerin, ihn am Kopf zu berühren. Er umklammert sie. Die anderen Tänzer umringen die beiden und bringen den Tänzer dazu, die Frau wieder loszulassen und ihr fern zu bleiben.

Es blitzt und donnert auf der Bühne, die eben noch fast unsichtbare Leinwand leuchtet plötzlich wieder hell auf. An ihr rinnen Wasserstrahle, fast wie Regen, herunter. Der Einzelne steht wieder vor den schwarzen Platten und wirft sie ganz um. Ein anderer Tänzer nähert sich ihm, sie tanzen miteinander bis der Einzelne schließlich wieder in der Nähe der Frau stehen bleibt, die er vorher von der Gruppe weggetragen hatte.

Als eine asiatische Tänzerin sich von der Gruppe löst und alleine auf der ganzen Bühne tanzt, erklingen asiatische Klänge, wie vorher klassische Violinpartien oder orientalische Töne die Trommelschläge begleitet haben. Eine andere Tänzerin gesellt sich zu der Asiatin und die anderen Gruppenmitglieder tanzen nach und nach auch mit den beiden. Nur der Einzelne steht wieder apathisch abseits der Gruppe.

Nach und nach verschwinden alle Tänzer hinter der Leinwand, wo ein orangener Licht-Punkt entsteht, der wie ein Sonnenuntergang wirkt. Die Tänzer sind als Schatten zu erkennen. Nur der Einzelne steht jetzt anders als am Anfang vor der Leinwand auf der Bühne und versucht, die Schatten der Anderen durch die Leinwand zu berühren. Die Proportionen der Schatten verändern sich, mal sind sie genauso groß wie der Mensch davor, manchmal wirken sie im Vergleich riesig.

Schließlich schlägt der einzelne Mensch gegen die Leinwand, sie stürzt herab und dahinter werden Menschen in einem Treppenhaus sichtbar. Ein virtuoses Stück der Akram Khan Company und des Komponisten Nitin Sawhney.

Dieser Text ist erstmals auf dem Blog www.textblueten.wordpress.com veröffentlicht worden.

Trailer der Akram Khan Company bei YouTube

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