Die Villa am Rande der Zeit

Aus Filmen und Büchern wie Zurück in die Zukunft, Per Anhalter durch die Galaxis, Die Zeitmaschine oder Und täglich grüsst das Murmeltier weiß man, dass Zeitreisen wohl irgendwie möglich zu sein scheinen. Manchmal gelingt es offenbar mit Hilfe von Zeitmaschinen, in anderen Fällen passiert es wie aus heiterem Himmel. Natürlich kann das jeder persönlich für die mehr oder weniger glaubwürdige Fantasie mancher Autoren und Regisseure halten oder auch daran glauben, dass es wirklich möglich ist. Die Protagonisten aus dem Roman Die Villa am Rande der Zeit des serbischen Schriftstellers Goran Petrovic zumindest zweifeln nicht daran.

Fast alle im Roman von Goran Petrovic beschriebenen Personen sind begeisterte Leser. Mit Hilfe ihrer Bücher reisen sie in ihre Erinnerung oder machen Erfahrungen, die so real sind, dass sie mehr als nur reine Fantasie zu sein scheinen:

Ihre Verwirrung war so groß, dass sie sich später nicht mehr erinnern konnte, wie sie so weit hatte kommen können. Sicher, sie hatte sich auch früher eifrig bemüht, der alten Dame vom vorgegebenen aus zu folgen, Seite um Seite, Zeile für Zeile, Wort auf Wort. Dann war ihr auf einmal bewusst geworden, dass sie anstelle der aneinandergereihten Wörter eine Frau in einem schwingenden Kleid aus Rohseide vor sich sah, mit lässig über die Schulter geworfenem Schal, einem breitkrempigem Strohhut und einem Picknickkorb in der rechten Hand; eine Frau, die langsam, aber entschlossen einen Weg entlang schritt … Wie das möglich war, konnte sich Jelena nicht erklären. Und wie war sie auf diese karge, nur mit Gras bewachsene Anhöhe gelangt?

Jelena ist die Gesellschafterin der hochbetagten wohlhabenden Dame Natalja Dimitrijevic, die ihre Wohnung kaum noch verlässt, da sie sich ‘an allem satt gesehen’ hat. Sie verbringt die meiste Zeit bei der gemeinsamen Lektüre mit ihrer Gesellschafterin Jelena, auf die sie sich manchmal vorbereitet, wie auf einen Ausflug. Sie überrascht Jelena  beispielsweise in einem Reisekleid und mit gut gefülltem Picknickkorb, um ihrer Gesellschafterin dann nur fordernd ein aufgeschlagenes Buch hinzuhalten. Ein Verhalten, das Jelena anfangs staunen lässt, obwohl die große Bibliothek der alten Dame sie vom ersten Moment an sehr an einen Botanischen Garten denken lässt:

Jelena drängte sich der Eindruck auf, sich in einem Garten zu befinden. Wer weiß, vielleicht lag das an dem Spalier der vollgestellten Bücherregale, die jeden Quadratmeter der Wände bedeckten und sich vom blanken Boden – genauer gesagt von einem ausgetrockneten Parkett, das aus verspielten Intarsien in sämtlichen Rottönen meisterhaft zusammengesetzt war – bis zu der hohen Decke mit ihren schattigen Winkeln zogen. Oder an der bunten Blütenfülle aus Büchern, die, was man bei flüchtigem Hinsehen nicht bemerkte, in je zwei oder mehr Exemplaren vorhanden waren, so wie sich auch in der Natur hier der Wegerich vermehrt und dort die Triebe der Kornelkirsche hartnäckig emporschießen

Ohne es zu wissen ist Jelena in der Nationalbibliothek bereits Adam über den Weg gelaufen, einem Slawistik-Studenten und Lektor der Zeitschrift Die Schönheiten unseres Lebens. Er hat gerade den vielversprechenden Auftrag erhalten, ein Buch aus dem Jahr 1936 zu überarbeiten, das ihn auf unerwartete Weise mit Jelena verbindet. Ein Auftrag, bei dem sich erstaunliche Schwierigkeiten auftun. Kurz nach seinem Erscheinen ist es von einem anonymen Kritiker in einer Literaturzeitschrift verrissen worden und auch heute noch erweist sich die Beschäftigung mit dem Buch, das den Titel MEIN VERMÄCHTNIS trägt, als erstaunlich kompliziert.

Die Villa am Rande der Zeit erzählt einfühlsam und poetisch von interessanten Menschen, denen das Leben größtenteils nur mit Hilfe von Büchern gelingt. Darüber hinaus skizziert Goran Petrovic das Leben in Belgrad und Serbien fast durch das gesamte 20. Jahrhundert hindurch nach. Ein sehr lesenswertes Buch, das mit dem renommierten NIN-Preis ausgezeichnet worden ist.

Maori-Nacht

Er ist unauffällig mit dunklem Hemd und dunkler Hose bekleidet, hält eine Gitarre in der Hand und spricht Englisch. Von Weitem hat er vielleicht am ehesten Ähnlichkeit mit einem Country-Sänger. Doch der Klang seiner Gitarre, die Geschichte und die Art seines Vortrags bei der Maori-Nacht haben allenfalls entfernt etwas von dem, was den wilden Westen und seine Musik im Allgemeinen ausmacht. Die Klänge der Gitarre sind meist reine Untermalung für eine Geschichte, die von Walen, Kanus, dem Meer, dem Himmel, Wäldern und Menschen inmitten dieser urgewaltigen Natur handelt.

Insgesamt betrachtet hat dieser Geschichtenerzähler vielleicht mehr von einem Darsteller, als einem Musiker. Denn viele markante Sequenzen der Geschichte unterstreicht er nicht mit Klängen, sondern mit ausladenden und manchmal fast überdeutlichen Gesten. Die Geschichte wirkt dadurch ungemein lebendig und fesselnd. Selbst wenn ich nicht immer jedes Wort verstehe, kann ich der Geschichte problemlos folgen und bin mehr als sonst gespannt, wie es wohl weiter gehen mag. Der faszinierende Geschichtenerzähler heißt Joe Harawira und erzählt in diesem Moment gerade im Rahmen des internationalen literaturfestival berlin eine der unzähligen Geschichten der Maori auf traditionelle Weise.

Noch vor einigen Jahren sei es undenkbar gewesen, die alten Maori-Geschichten öffentlich vorzutragen, erklärt der gebürtige Neuseeländer Joe Harawira im Anschluss an seine Performance. Die Sprache der Maori sei im 19. Jahrhundert von der Kolonialmacht als heidnische Sprache eingestuft worden und habe an den Schulen nicht mehr unterrichtet werden dürfen. Erst in den 1980er Jahren habe eine Wiederbelebung der maorischen Sprachkultur eingesetzt und seit 1987 sei Maori wieder offizielle Landessprache in Neuseeland.

Traditionell habe ein Geschichtenerzähler innerhalb der Maori-Gesellschaft eine überaus wichtige Funktion, da er die Vergangenheit mit der Gegenwart und der Zukunft verbinde. Die Maoris glaubten, dass sich ein Volk anhand der traditionellen Geschichten mit Hilfe der Vergangenheit besser für die Zukunft wappnen könne. Jeder habe seine persönliche Geschichte zu erzählen und indem man es tue, stelle man eine persönliche Verbindung zwischen sich, der Vergangenheit und der Gemeinschaft her.

Bücher seien generell eigentlich nicht die richtige Form, um Maori-Geschichten zu verbreiten, erklärt in dieser Nacht auch die neuseeländische Schriftstellerin und Literaturdozentin Cathie Dunsford. Vermutlich sei die Verbreitung der Maori-Erzählungen mit Hilfe von DVDs der geeignetste Weg. Cathie Dunsford zeigt beim internationalen literaturfestival berlin eine echte Performance, bestehend aus den dunklen vollen Klängen einer großen Muschel, in die ein Mundstück eingearbeitet worden ist, ergänzt durch Gesang und Erzählung. Obwohl sie ganz ähnliche Grundelemente verwendet wie Joe Harawira, hat ihre Darbietung eine ganz andere Stimmung und Tonlage. Mit Hilfe der Universität von Auckland, an der sie arbeite, seien sie dabei, neue und für die Maori-Kultur passende Wege der Präsentation ausfindig zu machen. Sie habe bereits gemeinsam mit anderen Maori-Frauen eine neue Form von Literatur entwickelt, die sich wahrscheinlich am ehesten mit Lyrik vergleichen ließe. Starke Frauen, die sich zum Wohl der Allgemeinheit engagierten, gehörten zur Tradition der Maori genauso wie deren ganz stark ausgeprägtes Umweltbewusstsein. Dabei gebe es trotz aller Gemeinsamkeiten zwischen den Maori auch teilweise groessere Unterschiede zwischen den einzelnen Stämmen. Dank der Geschichten könnten sie sich aber austauschen und hätten die Chance, eine Verständigung zwischen den Stämmen herzustellen. Insofern könne Literatur Anknüpfungspunkte für ein besseres Miteinander bieten. Unterschiede gebe es im Prinzip in allen Gesellschaften, sie selbst habe bei ihren Lesungen in Deutschland etwa Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen feststellen können. Über ihren Erfolg in Deutschland freue sie sich sehr und ganz besonders darüber, dass die Neuseeländer sich und ihre Kultur im Rahmen der Frankfurter Buchmesse präsentieren könnten.

Für eine neue Sicht auf die Geschichte und damit die Rolle der polynesischen Kultur hat vor allen Dingen James Belich mit einer Fernsehsendung über die Geschichte der Polynesier gesorgt, die auf einem seiner Bücher basiert hat. Beim internationalen literaturfestival berlin legt er dar, dass dadurch das Thema in die Öffentlichkeit gelangt sei und man in Folge dessen langsam begonnen habe, die Polynesier als ein Volk zu begreifen, das den halben Erdball bevölkert und geprägt habe. Nur mit Hilfe von Kanus sei es den Vorfahren der Polynesier gelungen, den gesamten Pazifik-Raum, von Hawaii bis Neuseeland zu bevölkern, eine unglaubliche Leistung. Sie seien nachweislich sogar bis Madagaskar und Süd-Amerika gelangt. Europäer sollten die Kultur der Polynesier respektieren.

Im Rahmen der Maori-Nacht betont auch Hamish Clayton, der im Gegensatz zu Joe Harawira und Cathie Dunsford ein neuseeländischer Schriftsteller ohne Maori-Vorfahren ist, Neuseeland sei ein Land mit zwei Kulturen. Die ersten Geschichten, an die er sich erinnere, seien Maori-Geschichten. Natürlich sei er auch mit den Geschichten über Koenig Arthur, Robin Hood oder Grimms Märchen aufgewachsen. Die Geschichten der Maori seien aber etwas ganz Besonderes, da sie keine Mythologie seien, sondern tatsächlich passiert wären.

Cathie Dunsford: Manawa Toa, Lied der Selkiesir.gif, Cowrieir.gif

Hamish Clayton: Wulfir.gif

James Belich: The Victorian Interpretation of the Racial Conflict: the British, the Maori and the New Zealand Warir.gif

James Belich: Making Peoples: A History of the New Zealanders until 1900ir.gif, Paradise Reforged. A History of the New Zealanders from The 1880ies to the Year 2000ir.gif, Replenishing the Earth. The Settler Revolutioon and the Rise of the Anglo-World, 1870ies-1920iesir.gif

Witi Ihmaera: Wale Riderir.gif

Paula Morris: Rangatirair.gif

Alan Duff: Warriorsir.gif

Peter Walker: Der junge William Foxir.gif

Die große Zukunft des Buches

In “Die große Zukunft des Buches” entwickeln Jean-Philippe Tonnac, Essayist und Journalist und Umberto Eco, Professor für Semiotik, Schriftsteller und Mittelalterexperte, sowie der Drehbuchautor und Schriftsteller Jean-Claude Carrière eine Perspektive für die Zukunft der Medienlandschaft. Generell sehen sie das Ältere nicht durch Veränderungen bedroht:

Das Ebook wird das Buch nicht töten. Ebenso wenig wie Gutenberg und seine geniale Erfindung von heute auf morgen den Gebrauch von Kodizes unterbunden hat oder den Handel mit Paryrusrollen und volumina. Die jeweiligen Praktiken und Gewohnheiten bestehen nebeneinander weiter, und nichts lieben wir mehr, als das Spektrum unserer Möglichkeiten zu erweitern. Hat der Film die Gemälde getötet? Das Fernsehen den Film? Willkommen seien daher Rechner und periphere Lesegeräte, die uns über einen einzigen Bildschirm Zugang zur mittlerweile digitalisierten Universalbibliothek gewähren

Sie stellen zum Beispiel fest, dass das Internet seine Nutzer in die Zeit des Alphabets zurück versetzt. Manche hätten früher fälschlicherweise angenommen, dass Film und Fernsehen das Lesen nahezu überflüssig machen würden. Doch das Gegenteil sei der Fall. Womöglich könnte es durch den Computer sogar eine Rückkehr zur oralen Tradition geben, ein bisschen wie zur Zeit Homers:

Wir würden eine Rückkehr zur Oralität erleben, wenn der Computer das, was wir sagen, direkt verarbeiten könnte

Als ein weiteres wichtiges Thema sehen sie die enormen Schwierigkeiten, dauerhafte Speichermöglichkeiten für unser kulturelles Gedächtnis zu finden. Alle Kulturen zu allen Zeiten hätten sich mit diesem Problem konfrontiert gesehen. Jean-Claude Carrière glaubt, dass auch heute nicht überall ein Interesse daran besteht, das Alte dauerhaft zu erhalten. Filme beispielsweise sollten immer wieder neu produziert werden:

Seit den zwanziger, dreißiger Jahren ist der Film in Europa zur >Siebten Kunst< avanciert. Seit damals hält man es jedenfalls für der Mühe wert, Kunstwerke zu bewahren, die nunmehr ein Teil der Kunstgeschichte sind. Aus diesem Grund entstanden die ersten Filmarchive, zunächst in Russland, dann in Frankreich. Aber aus amerikanischer Sicht ist der Film keine Kunst, noch heute gilt er dort als erneuerbares Produkt. Zorro, Nosferatu, Tarzan müssen immer wieder neu gemacht werden, die alten Vorbilder, die alten Bestände also weggeworfen werden. Das Alte, insbesondere wenn es von hoher Qualität ist, könnte dem neuen Produkt ja Konkurrenz machen

Durch all die Möglichkeiten, die den Menschen zur Verfügung ständen, lebten wir in einer Zeit ständiger Veränderung. Uns werde ständige Mobilität und permanentes Lernen aufgezwungen. Alle Gesprächsteilnehmer sind sich einig, dass es eine ganz zuverlässige Vorhersage für die Zukunft niemals geben kann. Die Geschichte sei voll solcher Irrtümer. Aber es gelingt den Gesprächsteilnehmern, die aktuellen Probleme mit vielen Anekdoten und sehr kenntnisreich in Zusammenhang zu den großen Fragen der Menschheit zu setzen und das Neue der Gegenwart als etwas zu enttarnen, das es in mehr oder weniger veränderter Weise immer schon gegeben hat.

Blutiger Sommer

In “Blutiger Sommer” von Gabriella Wollenhaupt und Friedemann Grenzen befinden wir uns im Jahr 1846 in Berlin. Dort stellt gerade ein Mann Frauen beim Baden im Fluss nach und im Judenviertel werden verstümmelte Frauenleichen gefunden. Justus von Kleist, der gerade die Jüdin Rachel aus Westfalen geheiratet hat und leitender Ermittler ist, liest zufällig bei einer gemeinsamen Spazierfahrt eine junge Frau auf, die vor dem Verbrecher fliehen konnte und das Gesicht des Mannes beschreiben kann.

Dennoch ist die Ermittlungsarbeit sehr schwierig. Es gibt noch keine DNA-Abgleiche und die Behörden sind ausschließlich auf Zeugenaussagen angewiesen. Ein Netz von Spitzeln durchzieht ganz Berlin und versorgt die Polizei mit mehr oder weniger zuverlässigen Informationen. Die Machtverhältnisse machen es der Polizei zusätzlich schwer, den richtigen Täter zu finden:

Ermittlungen der Polizei gegen Juden sind oft kompliziert und werden von vielen genau beobachtet. Die Vaterländischen jubeln, wenn es gegen die Juden geht, und die Liberalen des Jungen Deutschlandwarten darauf, dass die Polizei Fehler macht, um den Behörden Judenhass zu unterstellen. Der Polizeidirektor weiß, dass viele Polizisten tatsächlich antisemitisch eingestellt sind und dass Übergriffe keine Seltenheit sind. Diese Vorfälle werden oft von der Vossischen Zeitung angeprangert und pauschalisiert – was wiederum die amtlichen Zensoren alarmiert

Als auch eine adlige Dame unter den Todesopfern ist, dringt der Polizeipräsident von Puttkamer auf eine schnelle Lösung des Falles und lässt einen unschuldigen Mann verhaften. Als das Morden trotzdem weiter geht, gelingt es Justus von Kleist nur durch eine geschickte Intrige, die Ermittlungen gegen des Widerstand des Polizeipräsidenten wieder aufzunehmen.

Gabriella Wollenhaupt und Friedemann Grenz entwerfen ein unterhaltsames, spannendes und differenziertes Bild der politischen und sozialen Situation Preußens um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Einige Charaktere des Kriminalromans hat es wirklich gegeben. Ich finde Blutiger Sommer sehr aufschlussreich und lesenswert.

Kein Döner Land

Ungefähr bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr ist Cem Gülay kein Beispiel für eine gelungene Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in die deutsche Gesellschaft. Im Klappentext zu “Kein Döner Land” heißt es dazu kurz: Das Gastarbeiterkind aus Hamburg habe sich nach dem Abitur für eine kriminelle Karriere im Warentermingeschäft entschieden. Diesen Abschnitt seines Lebens hat Cem Gülay zusammen mit Helmut Kuhn in der Autobiografie “Türken-Sam. Eine deutsche Gangsterkarriere” ausführlich dargestellt. Die Autobiografie ist die Grundlage für “Kein Döner Land. Kurze Interviews mit fiesen Migranten”Cem Gülay und Helmut Kuhn halten hier Reaktionen auf das erste Buch fest.

Zu seinem eigenen Erstaunen wird Cem Gülay nach dem Erscheinen seiner Autobiografie zu vielen Lesungen, Diskussionsrunden und Festen eingeladen. Nicht immer sind die meist gut gemeinten Veranstaltungen wirklich zahlreich besucht, wie etwa das Festival Kulturbunt im Allgäu:

Ein Riesenaufwand. Sie tanzten, bimmelten und sangen in den wildesten Outfits. Ein kunterbunter Karneval der Kulturen beinahe wie in Berlin-Kreuzberg. Aber stell dir vor, es ist Karneval – und niemand geht hin. Das Fest war ein völliger Flop. Weil es beide Seiten offenbar nicht interessierte – weder die Einheimischen noch die Migranten. In den riesigen Zelten tanzten die Folkloregruppen vor fünf Zuschauern

Am Ende muss die Veranstalterin getröstet werden. Aber es gibt sie wirklich, die vielen Menschen an unterschiedlichsten Orten, die sich für Cem Gülay und seinen Ausstieg aus dem Gangstermilieu interessieren: Schulen, die Bundeszentrale für politische Bildung, die Talkshow Anne Will, ein politisch inkorrektes Blog und viele Migranten. Das Problem scheint in der Stadt und auf dem Land fast identisch zu sein:

Man erkennt sie schon von Weitem. An den billigen Klamotten. An den Kampfhaarschnitten. Am schlechten Gangsterrap-Geschmack. Sie sehen überall gleich aus, vom Norden bis in den Süden. Sie erben gar nichts. Sie haben keine Zukunft. Wer aus der Nordstadt kommt, gilt in Gießen, der Studentenstadt, als Verlierer. So ist das. Ein reines No-Future-Gebiet. Lauter Überflüssige

Cem Gülay wird zu einem regelrechten Sozialarbeiter, etwas, das er früher überwiegend lächerlich fand. Doch er spürt die Hilflosigkeit auf beiden Seiten und dass sich die meisten von ihm Lösungsvorschläge erhoffen. Den jungen Migranten gibt er Tipps, wie sie besser zurecht kommen können und nicht  kriminell werden. Viel Mühe hat er auch mit manch einem Anti-Gewalt-Pädagogen:

Ich sagte ihm: Du musst konfrontativ sein, Du musst dich gerade machen. Dich auch mal streiten, aggressiv sein. Du musst dir Respekt verschaffen. Wenn du nur eine Lusche bist, bist du für sie eine verschwuchtelte Kartoffel. Darauf stehen sie gar nicht

Er entwickelt gemeinsam mit einem Schulleiter erfolgreich den Beruf des ‘Sozialsheriffs’, erklärt sein zwiespältiges Verhältnis zur Religion, beschreibt die türkischstämmigen Frauen und warum Deutschtürken ihre sämtlichen deutschen Mitbürger verächtlich als Bio-Deutsche bezeichnen, wie Mädchen sich türkischen Machos gegenüber verhalten sollten oder wie man zumindest einige Jugendliche dazu bringen kann, auf Gewalt zu verzichten. Außerdem zeigt er, wie und wo Migranten benachteiligt werden, dass es auch echte Vorzeige-Migranten gibt und zeichnet insgesamt gemeinsam mit seinem Co-Autor auf unterhaltsame Weise ein sehr vielfältiges Bild seiner Erfahrungen und damit der Migranten in diesem Land.

77 Tage

Liliana Ziegler ist zwanzig Jahre alt und gerade vor ihrer Familie geflohen. In dem Krimi “77 Tage” von Lucie Flebbe lebt sie seit einem halben Jahr mit dem Privatdetektiv Danner in Bochum zusammen, hat einen Arbeitsvertrag als seine Angestellte und seit neuestem auch wieder einen festen Wohnsitz. Sie fürchtet, dass ihr Vater, ein Oberstaatsanwalt, sie auch fern ihrer Heimat Hannover finden könnte:

Natürlich suchte er nach mir. Mein Kontaktabbruch unterstellte ihm, in einem für sein blank poliertes Oberstaatsanwalts-Image so wichtigen Bereich wie der Kindererziehung versagt zu haben. Dieser wortlose Vorwurf musste ihn kochen lassen vor Wut

Der Krimi “77 Tage” von Lucie Flebbe besteht aus der persönlichen Geschichte der Privatdetektivin Liliana Ziegler im Wechsel mit den anonymen Tagebucheinträgen von BELLAS BLOG. Dort beschreibt eine Frau um die dreißig sehr lesenswert und detailliert ihren Alltag. Ähnlich wie die Privatdetektivin leidet auch die Autorin des Blogs unter der schwierigen Beziehung zu einem Familienmitglied: der zu ihrem jähzornigen Mann:

Ärgern können ihn Kleinigkeiten. Zum Beispiel das Kabel des Staubsaugers. Das ich immer in der Steckdose lasse. Um mir das Einstecken am nächsten Tag zu sparen. Oder der Herd. Den ich nur sauber mache, wenn ich ihn benutzen will. Oder meine Schuhe. Die nach dem Ausziehen immer hintereinander stehen, statt nebeneinander. So was löst bei Mario eine Tollwutsymptomatik aus

Im Laufe des Krimis begegnen sich die beiden Frauen auch persönlich, zunächst allerdings ohne es zu wissen. Liliana und und ihr Partner Danner ermitteln bei einem ambulanten Pflegedienst, da dort in den letzten Jahren etwas mehr Pflegebedürftige verstorben sind, als sonst durchschnittlich üblich. Die Leitung des Pflegedienstes möchte sicher gehen, dass ein Verbrechen ausgeschlossen werden kann. Danner begleitet einige männlichen Pfleger und Liliana lernt mit den weiblichen deren häufig bedrückenden Alltag kennen. Intensiv setzt sie sich mit den Pflegerinnen und deren teilweise herausragendem Engagement in unterschiedlichen Facetten auseinander. Durch die Pflegekräfte lernt sie die “bloggergirls” kennen, die über unterschiedliche Themen im Internet schreiben und auch mit BELLAS BLOG vernetzt sind.

Im Laufe der Geschichte eskaliert die Gewalt immer mehr und es werden einige erschütternde Details sichtbar. Doch immerhin gelingt es manchen, die ewige Spirale zu durchbrechen. “77 Tage” ist ein psychologisch sehr vielschichtiger und lesenswerter Krimi.

Gernhardts ewiger Kalender

Kalender kauft oder verschenkt man eigentlich gegen Ende des Jahres oder zu Beginn. Bei Gernhardts ewiger Kalender ist das anders. Denn die App ist, wie der Name schon sagt, ein ewiger Kalender und beinhaltet für jeden Tag des Jahres eine kleine Geschichte in Textform oder Bild und Ton, die immer wieder in die Saison passt.

Sobald man die App aufruft, erscheint eine für den aktuellen Tag verfasste Geschichte. An manchen Tagen gibt Robert Gernhardt in seinem ewigen Kalender ein Gedicht zu lesen, an anderen ist es eine kleine Comic-Geschichte, die sich wie ein Film abspielen lässt und deren Text der Autor selbst liest. Alle Geschichten haben einen unverkennbaren humorvoll-lakonischen Charakter, wobei gerade die Gedichte ein bisschen an Wilhelm Busch oder Christian Morgenstern erinnern. Sie sind leicht lesbar und dabei klug und tiefsinnig. Die Themen sind mal jahreszeitlich, dann ist offenbar der Start eines Kinofilms vor Jahrzehnten Auslöser für einen satirischen Kommentar, dann eine Erfindung aus Wissenschaft oder Technik, mal ist es der Alkohol oder Erlebnisse mit oder in Umgebung der Deutschen Bahn – ein bunt zusammengewürfelter Mix.

Hinzukommend wird leicht verständlich erklärt, wie man etwa von einer Geschichte zur nächsten blättern oder die Geschichten per Email verschenken kann. Gernhardts ewiger Kalender ist eine sehr aufwändig und detailreich gestaltete App, die mir viel Spaß gemacht hat und die sich auf iPhone und iPad wirklich genießen lässt.

Der kleine Hobbit

Spätestens seitdem die Filmtrilogie Der Herr der Ringe die Kinos erobert hat, kennen die allermeisten Hobbits, Elfen, Orks und Gandalf, den Zauberer. J.R.R. Tolkien, Autor des gleichnamigen Buch-Bestsellers und Professor für germanische Sprachen, hat auch eine Art Vorgeschichte mit dem Titel Der kleine Hobbit verfasst, die erstmals im Jahr 1937 veröffentlicht und 1954 und 1955 durch Der Herr der Ringe ergänzt worden ist.

Hobbits sind etwa halb so groß wie Menschen und noch ein bisschen kleiner als Zwerge. Ihre besondere Gabe ist, dass sie sich mit ihren behaarten Füßen nahezu lautlos bewegen können. Der Held in Der kleine Hobbit heißt Bilbo Beutlin, ist um die fünfzig Jahre alt, im Ruhestand, wohlhabend, alleinstehend und lebt in einer großzügigen gemütlich eingerichteten Höhle:

Der Boden war mit Fliesen und Teppichen ausgelegt, es gab Stühle da von feinster Politur und an den Wänden Haken in Massen für Hüte und Mäntel, denn der Hobbit hatte Besucher sehr gern. Der Tunnel wand und wand sich, führte aber nicht tief ins Innere des Berges hinein, den alle Leute viele Meilen weit rund im Lande schlechthin >den Berg< nannten. Zahlreiche kleine, runde Türen öffneten sich in diesem Tunnel, zunächst auf der einen Seite und dann auch auf der anderen Seite. Treppen zu steigen brauchte der Hobbit nicht: Schlafräume, Badezimmer, Keller, Speisekammern (eine Masse von Speisekammern), Kleiderschränke (ganze Räume standen ausschließlich für die Unterbringung seiner Garderobe zur Verfügung), Küchen, Esszimmer – alles lag an demselben Korridor

Als eines Tages unerwartet ein alter Mann mit einem Stab, hohem spitzen blauen Hut und einem langen grauen Mantel an der Höhle von Bilbo Beutlin vorbei kommt und erklärt, er sei Gandalf und suche jemanden für ein Abenteuer, ist Bilbo Beutlin überhaupt nicht interessiert und hofft, ihn schnell wieder los werden zu können:

Wir sind ruhige Leute hier und suchen keine Abenteuer. Ein ärgerlicher, störender, unbehaglicher Zeitvertreib. So etwas verspätet nur die Mahlzeiten. Ich kann nicht verstehen, was jemand daran findet

Doch kurz nachdem Gandalf wieder verschwunden ist, klopfen um die Teezeit nach und nach insgesamt dreizehn Zwerge an Bilbo Beutlins ‘schöne grüne Haustür’. Als guter Gastgeber bittet er sie hinein und bewirtet sie. Als irgendwann auch Gandalf zurück gekehrt ist, erzählen sie dem skeptischen Hobbit in Form eines Liedes von einem Schatz, der vor langer Zeit ihren Vorfahren gehört habe. Sie seien Bergleute gewesen und hätten ihn selbst aus Gold und Edelsteinen gefertigt. Ein gefährlicher Drache habe ihn geraubt. Die Zwerge möchten ihn unbedingt so schnell wie möglich zurück erobern. Auf Gandalfs Anraten hin soll Bilbo Beutlin sie als ‘Meisterdieb’ unterstützten.

Nach und nach lässt Bilbo Beutlin sich von ihrem Wunsch anstecken und auch die Abenteuerlust erwacht in ihm. Ehe er sich versieht, willigt er ein, die Zwerge auf ihrer gefährlichen Reise zu dem Berg, in dem der Schatz sich befindet, zu begleiten. Ein Entschluss, den der Hobbit schon kurz nach Beginn der Reise bereut:

Teezeit war vorüber. Es goss in Strömen und es hatte den ganzen Tag über schon so gegossen. Von der Kapuze tropfte es ihm in die Augen, der Mantel hatte sich voll Wasser gesogen, das Pony war müde und stolperte über die Steine und die anderen waren viel zu brummig, um zu sprechen. Ich bin sicher, dass der Regen bis in die Kleider gegangen ist und in die Verpflegungstaschen, dachte Bilbo. Verflixte Meisterdieberei und alles, was damit zu tun hat! Ich wünschte, ich wäre zu Hause in meiner hübschen Höhle beim Kaminfeuer, wenn gerade der Kessel anfängt zu summen!

Zu diesem Zeitpunkt liegen die wichtigsten Abenteuer mit gefährlichen Gebirgen, verzauberten Wäldern und Gewässern, Wölfe, Trolle, gefährliche Orks, misstrauischen Elben und der Kampf mit dem schrecklichen Drachen noch vor ihnen… Das Buch ist ein spannender Klassiker, den jeder einmal gelesen haben sollte!

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Uferwechsel

Von dem Mord erfährt der indischstämmige Privatdetektiv Vijay Kumar in Uferwechsel von Sunil Mann durch seinen guten Freund José von der Boulevard-Presse. José hat Vijay Kumar mit penetrantem Klingeln dazu gebracht, ihn an diesem frühen Wintermorgen über die verschneiten und zugeisten Straßen zum Fundort der Leiche in unmittelbarer Nähe des Züricher Flughafens zu fahren. Die Autofahrt ist gefährlich, es ist eiskalt und außer einem Foto bekommt er nichts von der Leiche zu sehen. Aber Vijay Kumar lernt bei dieser Gelegenheit Staatsanwalt Tobler kennen:

Ein weiterer Wagen war jetzt zu hören, ein dunkler Mercedes, der in halsbrecherischem Tempo den Waldweg heraufpreschte und ruckartig vor der Absperrung anhielt. Als wäre es ein inszenierter Auftritt, ließ genau in diesem Augenblick der Sturm nach. Der Wind flaute ab, nur der Schnee fiel weiterhin in großen, flauschigen Flocken vom dämmrigen Himmel. Die Journalisten verstummten abrupt und wirkten mit einem Mal angespannt, während die Uniformierten entweder eine stramme Haltung annahmen oder beschäftigt guckten. Die ganze Welt schien den Atem anzuhalten. Dann schwang die hintere Tür des Wagens auf und ein athletisch wirkender Mann mit grau melierter, perfekt sitzender Frisur entstieg ihm. Er blieb vor dem Fahrzeug stehen und blickte sich mit selbstgefälliger Miene nach allen Seiten um, als hätte er soeben unter frenetischem Beifall eine Bühne betreten

Nachdem Tobler sich umgesehen und der Presse gegenüber keinen Kommentar gegeben hat, spricht er Vijay Kumar mit Namen an. Der Staatsanwalt hat von ihm und seinen bisher gelösten Fällen aus der Zeitung erfahren. Jetzt bittet er ihn um Zurückhaltung. Doch natürlich lässt der Fall Vijay Kumar nicht los. Er recherchiert und glaubt Parallelen zu einem anderen Fall entdeckt zu haben, bei dem ein junger Flüchtling kurz vor Erreichen des Flughafens aus seinem Versteck im Flugzeug gefallen und dabei ums Leben gekommen ist. Ermutigt durch Toblers Kontaktaufnahme, sucht Vijay Kumar ihn in der Staatsanwaltschaft auf und teilt ihm seine Theorie mit. Am nächsten Tag muss er seine Idee fassungslos in der Zeitung lesen:

Ich knallte das Glas, in dem der Latte macchiato serviert worden war, so heftig hin, dass der Kaffee hochschwappte und auf die Titelseite der größten Schweizer Boulevardzeitung spritzte. Ich konnte nicht glauben, was ich gerade las. Der Mann, der vom Himmel fiel, stand da in fetten Buchstaben, darunter war ein Bild des äußerst fotogenen Staatsanwalts Dr. Frank R. Tobler zu sehen, der sich im nachfolgenden Bericht dafür feiern ließ, dass er das Geheimnis um den Toten von Zumikon gelüftet hatte. Ein Flüchtling, der sich im Fahrwerkkasten eines Flugzeugs versteckt hatte und dabei erfroren sei, ein tragisches Schicksal, ließ sich der Staatsanwalt zitieren. Er dankte der Bevölkerung für die zahlreichen Hinweise, die im Verlauf des gestrigen Tages bei der Staatsanwaltschaft und der Kripo eingegangen seien. Wütend schob ich die Zeitung von mir

Dann erhält Vijay Kumar den anonymen Anruf eines Mannes. Der Mann bittet ihn, an dem Fall weiter zu arbeiten. Er behauptet zu wissen, dass der tote junge Mann kein Flüchtling und auch sicher nicht aus einem Flugzeug gefallen sei. Geld spiele keine Rolle. Seine Recherchen führen Vijay Kumar in die Züricher Homosexuellen-Szene und ins Rotlichtmilieu:

Den Nachmittag verbrachte ich damit, mir passende Kleidung zurecht zu legen: eine enge weiße Hose, die ich aus den Tiefen meines Kleiderschranks zutage förderte, und ein farbenprächtiges Hemd aus synthetisch glänzendem Stoff, der knisternd Funken sprühte, wenn man darüber strich. Das Kleidungsstück hatte mir eine meiner unzähligen Tanten vor Jahren aus Indien geschickt – im irrigen Glauben, sie träfe damit meinen Geschmack. Ich hatte nicht im Traum damit gerechnet, jemals in eine derart hoffnunglose Situation zu geraten, die das Tragen des Hemdes unabdingbar machte, doch nun war ich froh, dass ich es nicht in die Altkleidersammlung gegeben hatte

Ihm gelingt es, Bekannte des Toten ausfindig zu machen und es stellt sich heraus, dass der tote junge Mann wahrscheinlich ein Stricher gewesen ist. Doch von den Bekannten des Toten scheint niemand als Täter in Frage zu kommen. Doch plötzlich stirbt ein weiterer junger homosexueller Mann auf rätselhafte Weise und es scheint sich ein Zusammenhang zu dem Todesfall aufzutun, an dem Vijay Kumar gerade arbeitet und womöglich zu noch einem Weiteren. Eine entscheidende Rolle spielt offenbar eine Organisation mit dem Namen Sanduhr, die Homosexuellen verspricht, sie zu einem Heterosexuellen ‘verändern’ zu können. Die Sanduhr steht wegen einiger Selbstmorde und psychischer Störungen in der Kritik. Auch Staatsanwalt Tobler scheint Kontakt zu der Organisation zu haben. Vijay Kumar vermutet nach und nach, dass der Staatsanwalt womöglich ein persönliches Interesse daran gehabt hat, die Geschichte des Toten nicht weiter aufzurollen, sondern ihn als einen Flüchtling ohne Vergangenheit in Zürich zu behandeln.

Ein spannender Krimi!

Echt abgefahren!

Eigentlich hat sich der zwölfjährige Jan Hensen in Echt abgefahren! von Hans-Jürgen Feldhaus zum Geburtstag einen Tablet-Computer gewünscht, um damit Spiele zu spielen und die Schule mit ihren unterträglichen Matheaufgaben wenigstens in den Ferien vergessen zu können:

Du kennst doch diese Typen aus den Mathebüchern, oder? Ich meine, die aus den Textaufgaben! Du weißt schon: Torsten! Carsten! Sören! Einer von denen oder gleich alle zusammen backen immer Apfelkuchen oder irgendeinen anderen Scheiß. Jedenfalls kaufen sie dafür einen Haufen Äpfel und unterhalten sich dann: >Oh, Torsten! In 14 meiner 59 Äpfel ist jeweils ein Wurm drin!< >Ja, Carsten!<, sagt der Torsten. >Und von meinen 7 Äpfeln sind 6 faul< >Wie viel Prozent aller Äpfel können wir für unseren Apfelkuchen nehmen?<, fragt sich dann Sören. Und dann musst du für diese Hirnis ausrechnen, wie viele Äpfel komplett vergammelt sind und wie viel Prozent sie für ihren bescheuerten Kuchen verwenden können!

Jetzt muss Jan seinen Ärger über die Schule und den Urlaub in einem ganz normalen Tagebuch aus Papier festhalten. Und Unerträgliches gibt es jede Menge. Dazu gehört zum Beispiel, dass seine Eltern ihm wahrscheinlich keinen Tablet-Computer geschenkt haben, weil der Klassenlehrer Jans ‘Lernkompetenz’ für ‘mangelnd’ hält. Außerdem ist seine ältere Schwester Hannah dabei, die ihn liebend gerne bloß stellt und von der er sein Tagebuch stets mit allen Mitteln fern halten muss:

… und was sehe ich, als ich ins Zimmer komme? Hannah mit dem Buch in ihren Fingern! Sie schlägt es auf und in einem Bruchteil einer Sekunde hechte ich von der Tür aus auf sie zu, schnapp es mir und rolle mich wie ein Profitorwart auf dem Boden ab. … also gut, ich weiß jetzt nicht, wie groß der Bruchteil einer Sekunde von der Tür bis zu Hannah war, aber ich schwöre, es war verdammt schnell. …nur die Profitorwart-Parade war jetzt nicht ganz so toll, weil da noch dieser dämliche Koffer von Hannah war, über den ich aus Versehen gestolpert bin, und dann um ein Haar mit meinem Kopf gegen die Wand geknallt wäre, wenn da nicht noch dieser Reisemüllbeutel gelegen hätte mit dem ganzen Proviant-Matsch drin …

Grund zum Ärgern gibt Jan auch seine bewegungsfreudige Mutter, die die ganze Familie immer wieder nötigt, Städtetouren, ausgedehnte Ausflüge und lange Wanderungen zu unternehmen. Als ob all diese Strapazen nicht schon mehr als zu viel wären, begegnet Jan in diesem Urlaub auch noch überraschend Hendrik Lehmann, dem schlimmsten Streber seiner Klasse. Jans Eltern freunden sich mit Hendriks Eltern an und Jan muss ganze Abende und mehrere Ausflüge gemeinsam mit Hendrik Lehmann überstehen. Hendrik Lehmann besitzt natürlich den Tablet-Computer, den Jan sich so sehr wünscht und zieht damit die ganze Aufmerksamkeit der Urlaubs-Kumpels auf sich.

Hendrik Lehmann hatte es also geschafft: Er hat mir meine Freunde weggenommen. Mit seinem iPad… und Real Asphalt HD! MEINEM Spiel!

Noch mehr Kopfzerbrechen bereitet Jan allerdings, dass Hendrik Lehmann über die Einzelheiten einer wirklich unangenehmen Katastrophe Bescheid weiß, in die Jan und seine Freunde bei der letzten Klassenfahrt verwickelt worden sind. Jetzt muss er fürchten, dass Hendrik Lehmann ihn bei seinen Eltern verpetzt und wird von Alpträumen geplagt. Doch offenbar trägt auch Hendrik Lehmann unangenehme Probleme mit sich herum…

Mit diesem Buch kann jeder ab elf Jahren sein Trauma aus dem letzten Urlaub verarbeiten oder sich vielleicht sogar ein bisschen freuen, dass man gar nicht weg war. Toll ergänzt wird der Text von lauter witzigen Zeichnungen auf fast jeder Seite.

Eindrücke von Zeichnungen des Grafikers Hans-Jürgen Feldhaus und mehr Informationen gibt es unter: www.hjfeldhaus.de